Vor fünfzig Jahren war Hansi Kraus unangefochtener Star eines eigenen Genres. "Paukerfilme" haben hierzulande zwar eine gewisse Tradition, seit Heinz Rühmann 1944 als ein an die "Penne" zurückgekehrter Schüler sein Unwesen in der Romanverfilmung "Die Feuerzangenbowle" trieb, aber Kraus wurde Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre mit Filmen wie "Die Lümmel von der ersten Bank", "Pepe, der Paukerschreck" oder "Wir hau’n die Pauker in die Pfanne" zum Vorbild einer ganzen Schulgeneration. Das Publikum von ARD und ZDF ist im Schnitt über sechzig, viele dürften mit den "Lümmelfilmen" (1968 bis 1972) aufgewachsen sein.
Die Beiträge zur ARD-Reihe "Schule am Meer" mit Oliver Mommsen und Anja Kling haben sich bislang auf die Lehrkräfte konzentriert, weil sich die beiden Hauptfiguren, Kochlehrer Erik Olsen und seine schon in jungen Jahren angehimmelte Chefin Katharina Hendriks, keine Retourkutsche schuldig bleiben. Um die Schutzbefohlenen ging es nur ein Einzelfällen: Mal konnte ein Schüler nicht lesen, mal galt es, das Talent einer hochbegabten, aber auch schwangeren Schneiderin zu fördern.
Im insgesamt fünften Film der Reihe steht endlich mal eine ganze Gruppe im Mittelpunkt: Olsen macht mit seiner Kochklasse eine Radtour. Fünf Tage lang sollen die Schülerinnen und Schüler beweisen, dass sie in freier Wildbahn selbstorganisiert und ohne Smartphone überleben können. Der Lehrer ist zwar dabei, aber nur als teilnehmender Beobachter; die anfallenden Herausforderungen müssen seine Schutzbefohlenen allein bewältigen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Klassenfahrt mit Rasselbande: Das kann ja heiter werden, und so ist "Küssen verboten" in der Tat im Unterschied zum ausschließlich dramatischen letzten Film ("Elternfreuden") wieder eine nahezu uneingeschränkt lustige Komödie. Natürlich sorgt das Drehbuch (Lisa Hofer, Miguel Alexandre) auch dafür, dass die unausgelebte Romanze zwischen Olsen und der verheirateten Vorgesetzten fortgesetzt wird: In der Schule wächst Katharina gerade ein Aktenberg über den Kopf. Außerdem hat sie sich dermaßen über einen kleinkarierten Baurechtsinspektor (Volker Zack) geärgert, dass ihr wegen einer reichlich unziemlichen Anspielung auf die Körpergröße des Mannes eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung droht.
Also schließt sie sich unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer weiblichen Begleitperson kurzerhand der Ausflugsgruppe an, was prompt allerlei Zwistigkeiten nach sich zieht: Die Schulleiterin hat gern alles unter Kontrolle und zu allem Überfluss auch meistens Recht. Natürlich bieten sich im Verlauf der Radtour mannigfaltige Gelegenheiten, um das verkappte Liebespaar aneinander geraten zu lassen. Der Auftakt der aktuellen Trilogie hieß "Unter einem Dach": Katharina musste sich um Olsen kümmern, weil der nach einem von ihr verschuldeten Unfall vorübergehend im Rollstuhl saß. Der Titel passt in gewisser Weise auch hier: Der Inhalt ihrer Zelttasche entpuppt sich als ein Segel, also muss sie notgedrungen bei ihm schlafen.
Weil die Selbstversorgung der Klasse nicht immer reibungslos funktioniert, futtert sie ihm außerdem seine "Hasenbrote" weg. Zwischen den zum Teil schon ziemlich erwachsenen Schülerinnen und Schülerinnen kommt es ebenfalls zu einigen Spannungen. Die knapp achtzehnjährige Nuri (Acelya Sezer) steht unter besonderem Druck, und damit ist der von Miguel Alexandre (Regie und Kamera) inszenierte Film bei seiner ernsten Nebenebene: Nuris Mutter hat seit der Trennung von ihrem Mann ein Alkoholproblem und ist völlig unzuverlässig, weshalb die Tochter während der Klassenfahrt in ständiger Sorge um die kleine Elif ist; erst recht, als sie rausfindet, dass das Mädchen nachts allein daheim ist.
Die Szenen mit den beiden Schwestern wirken sehr natürlich, aber auch die weiteren jugendlichen Mitwirkenden machen ihre Sache prima; für Mommsen und Kling gilt das ohnehin. Immer, wenn die Tour ereignisarm zu werden droht, sorgen wahlweise Dauerregen, ein allerdings nur akustisch präsentes Wolfsrudel oder ein erzürnter Wiesenbesitzer für Abwechslung. Sehr amüsant sind zudem Katharinas regelmäßig zitierte Anleihen beim amerikanischen Psychologen Bruce Tuckman und seinem Phasenmodell zur Team-Entwicklung. Dass auch der dritte Film wie ein Thriller mit einem spannungssteigernden Prolog samt anschließender langer Rückblende beginnt, ist allerdings gänzlich überflüssig.



