TV-Tipp: "Sturmtief – Der Usedom-Krimi"

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6. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Sturmtief – Der Usedom-Krimi"
Das Drehbuch sorgt gleich zu Beginn für geschickte Verknüpfungspunkte: Witt (Till Firit) lernt auf dem Weg zur Arbeit seinen neuen Nachbarn (Robert Nikisch) kennen; für einen Pastor ist der Mann, der gerade das Tor zu seinem Grundstück streicht, erstaunlich unwirsch.

Die Radionachrichten vermelden einen Schusswechsel in der Polizeiwache Heringsdorf, eine Person ist dabei zu Tode gekommen; ein Polizist starrt fassungslos ins Leere, seine Hände sind voller Blut. Dann folgt ein Schnitt auf einen Spaziergang im Sonnenschein: "12 Stunden vorher". Das Schema, einen Thriller mit dem Höhepunkt zu beginnen und anschließend in langer Rückblende zu erzählen, wie es dazu kam, ist zwar abgenutzt, erfüllt aber zuverlässig seinen Zweck: Die Neugier ist geweckt. Ungleich origineller ist jedoch die Mitwirkung von "Holger": Ein Sturmtief gleichen Namens sucht die Ostseeküste heim. Der Wintersturm hat zur Folge, dass nichts mehr geht: Züge und Strom fallen aus, mobile Telefone finden kein Netz, Ordnungshüter und Rettungskräfte sind hoffnungslos überlastet. 

Optisch ist das vergleichsweise aufwändig umgesetzt, die kurzen Zwischenschnitte über das Unwesen, das "Holger" treibt, könnten auch aus einem Katastrophenfilm stammen. Auf diese Weise kann Regisseurin Steffi Doehlemann clever kaschieren, dass "Sturmtief", der 27. "Usedom-Krimi", im Grunde ein Kammerspiel mit drei Schauplätzen ist: hier die Polizeiwache, dort ein Antiquitätengeschäft, in dem Kommissar Witt an einen Heizkörper gefesselt ist, und schließlich sein Haus, in dem Tochter und Tante Opfer einer Geiselnahme geworden sind; auch wenn sie das zunächst noch nicht ahnen. Im Revier wiederum treffen zwei Männer aufeinander, die vor 16 Jahren zu Erzfeinden geworden sind; und einer der beiden ist bewaffnet.

Ähnlich wie der heitere Himmel nach dem Prolog deutet anfangs nichts darauf hin, welche fatale Eigendynamik die Ereignisse annehmen werden: Ein Antiquitätenhändler überrascht einen Einbrecher, der sofort auf ihn schießt, kommt aber mit einem Streifschuss davon. In der Ferne braut sich bereits das Unwetter zusammen, und auch die wie stets herausragend gute Musik von Colin Towns lässt Unheil erahnen.

Das bricht in der Tat alsbald über die handelnden Personen herein, wobei das Drehbuch zu Beginn für geschickte Verknüpfungspunkte sorgt: Witt (Till Firit) lernt auf dem Weg zur Arbeit seinen neuen Nachbarn (Robert Nikisch) kennen; für einen Pastor ist der Mann, der gerade das Tor zu seinem Grundstück streicht, erstaunlich unwirsch. Bald darauf macht ein Unfall die Arbeit zunichte: Ein Auto kracht in das Tor. Karin Lossow (Katrin Sass) kümmert sich um die verletzte Fahrerin (Valery Tscheplanowa) und deren Sohn (Oliver Szerkus). Dummerweise hat sie sich zuvor ausgesperrt, aber das Trio findet Zuflucht im Haus von Witt. 

Als ehemalige Staatsanwältin ist Lossow von Natur aus misstrauisch, zumal Mutter und Sohn keine ärztliche Hilfe wollen; im Auto entdeckt sie die Beute aus dem Raubüberfall. Der unbeherrschte Antiquitätenhändler Zoschitz (Konrad Singer) ist allerdings überzeugt, dass Benedikt Maurer (Christian Beermann) dahinter steckt: Der Mann gibt ihm den Schuld am Tod seiner Frau, sie war einst Zoschitz’ Geliebte; seither ist es immer wieder zu Übergriffen Maurers gekommen. Während Kommissarin Ellen Norgaard (Rikke Lyllof) vergeblich versucht, dem cholerischen Geschäftsmann eine vernünftige Aussage abzuringen, hat Kollege Witt ganz andere Sorgen: Er ist am Tatort von zwei Ganoven überrascht worden, die ihn für Zoschitz halten; und der schuldet ihnen eine beträchtliche Summe. 

Wie Dinah Marte Golch, mit neun Drehbüchern nach Reihenschöpfer Michael Vershinin zweithäufigste "Usedom"-Autorin, nun dafür sorgt, dass sich die drei Situationen immer mehr zuspitzen, ist nicht nur fesselnd, sondern auch dramaturgisch äußerst effektiv, wobei der Autorin das Kunststück gelingt, die Spannung zwischendurch durch unerwartete kleine Handlungswendungen aufzulockern, obwohl die Nerven aller Beteiligten blank liegen; Witt zum Beispiel ist zu seiner eigenen Verblüffung plötzlich gezwungen, mit den Gangstern zu kooperieren.

Witzig ist auch die Reaktion seiner Tochter Merle (Elsa Krieger), als sie offenbar zum ersten Mal in ihrem Leben ein Faxgerät sieht, mit dem der Pastor einen Hilferuf ans Polizeirevier schicken soll. Doehlemann hat wie schon im letzten Usedom-Krimi ("Geisternetze") wieder mit ihrem bevorzugten Kameramann Oliver-Maximilian Kraus zusammengearbeitet. Die Arbeiten des Duos zeichnen sich generell durch eine besondere Lichtarbeit aus, aber in diesem Fall gilt das erst recht: Wegen des Stromausfalls trägt sich die nächtliche Handlung größtenteils im Zwielicht zu. Einige Szenen sind nur durch Kerzenschein illuminiert, was vor allem in der Kirche für eindrucksvolle Bilder sorgt.