Ein Klo spielt in dieser Geschichte eine nicht unerhebliche Rolle, doch zunächst lohnt es sich, einen Blick in die Historie der Trinkhallen zu werfen: Sie wurden Mitte des 19. Jahrhunderts eingerichtet, um Fabrikarbeitern mit abgefülltem Mineralwasser eine Alternative zum mitgebrachten Bier zu bieten. Leitungswasser war damals ungenießbar, und übermäßiger Alkoholkonsum während der Arbeit ist der Produktivität erfahrungsgemäß nicht zuträglich. Im Rheinland heißen die Verkaufsstände, zu denen sich die einstigen Wasserstellen schließlich entwickelten, schlicht "Büdchen", aber Hajos Kiosk trägt nach wie vor mit Stolz die Bezeichnung "Trinkhalle".
Hier finden sich abgesehen von einigen Stammkunden in erster Linie jeden Feierabend seine Freunde Thorsten und Guido ein, um die Vorräte an Schnaps und Bier zu dezimieren, während sie von den Ereignissen des Tages berichten und übers große Glück zu sinnieren. Schräg gegenüber verspricht die Plakatwerbung für ein Reiseunternehmen: "Deine Träume zum Greifen nah!"
Die Gespräche sind ein Fest für alle, die mit großer Freude dem Leben lauschen, zumal Aurel Manthei, Johannes Allmayer und Alexander Wipprecht ihre Dialoge mit angemessener Ernsthaftigkeit vortragen; zu Beginn erinnert dieser Film, den Wipprecht gemeinsam mit seinem Kompagnon Orlando Klaus geschrieben, inszeniert und produziert hat, an die famose RBB-Serie "Warten auf’n Bus" (2020) mit Ronald Zehrfeld und Felix Kramer.
Das Alter der Antihelden, die hingebungsvolle Vernichtung von Alkohol, die Gesprächsthemen: Die Parallelen sind offenkundig. Das ändert sich, als mehr Bewegung ins beschauliche Dasein des Trios kommt, als ihm lieb ist: Ausgerechnet auf Hajos Klo haucht ein Gast sein Leben aus. Eine übereifrige LKA-Beamtin (Sabrina Amalfi) ist überzeugt, der Tote gehöre zur Mafia, wird aber von der zuständigen Ermittlerin (Bärbel Schwarz) zurückgepfiffen. Damit wäre die Sache erledigt, hätte Hajo nicht den mit Handschellen am Handgelenk des Toten befestigten Koffer unterschlagen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Mann hatte einen Lutscher mit einem 200-Euro-Schein bezahlt, um die Toilette benutzen zu dürfen. Womöglich ist das Behältnis voller Schwarzgeld, das niemand vermisst. Allerdings widersteht der Koffer hartnäckig auch den brachialsten Öffnungsversuchen; und dann taucht ein Typ auf, ihn unbedingt haben will und dafür auch über Leichen gehen würde. Wie Klaus und Wipprecht die Geschichte nun fortführen, spottet jeder Beschreibung. Obwohl sich der Film abgesehen von einer kurzen Einführung ausschließlich im und vorm Kiosk abspielt, entwickelt "Theken-Cowboys" nicht zuletzt dank der oftmals in mehreren kleinen Ausschnitten präsentierten Bildgestaltung und vieler ungewöhnlicher Kameraperspektiven (Michael Kotschi) eine faszinierende Dynamik.
Dass die Handlung trotzdem nicht überfrachtet und die Umsetzung nicht überdreht wirken, ist erstaunlich. Die Dialoge des Trios sind ein ohnehin Quell steter Heiterkeit, weil Podcast-Fan Thorsten auf wirklich jede Frage eine Antwort hat. Besonders witzig sind die nur ein kleines bisschen übertriebenen Anekdoten, die die Freunde von ihren Arbeitsstellen zum Besten geben; meist geht es dabei um harmlose Vorfälle, die von sensiblen Zeitgenossinnen zu Skandalen aufgebauscht werden.
Ähnlich wie in "Warten auf’n Bus" ist irgendwann Schluss mit lustig, selbst wenn ein Killer nur halb so bedrohlich wirkt, wenn er mit heliumbedingter Piepsstimme spricht. Kurz drauf kommt der Mann gleich zweimal ums Leben. Fortan streiten sich Thorsten und Guido ständig, wer ihn auf dem Gewissen hat, denn tot bereitet er dem Trio weit mehr Ungemach als zu Lebzeiten. Zum Glück arbeitet Guido bei der Müllabfuhr, das ist ganz praktisch, wenn man eine Leiche loswerden will. Das Gefährt, mit dem er aufkreuzt, erweist sich jedoch als denkbar ungeeignet; kaum zu glauben, welch’ komisches Potenzial eine Kehrmaschine birgt.
Natürlich lässt auch die Frau vom LKA nicht locker. Mit ihrer Mafia-Theorie liegt sie völlig richtig, weshalb die Handlung schließlich in einen kontrapunktisch mit "Perfect Day" von Lou Reed unterlegten bleihaltigen Showdown eskaliert. An dem Spiel mit den Western-Elementen hatten Klaus und Wipprecht vermutlich ebenso viel Freude wie an den Nonsens-Dialogen; entsprechende Anleihen finden sich auch in der Kameraführung sowie in Niels Reinhards tiefenentspannter Filmmusik. Die verblüffende Schlusspointe setzt das Duo allerdings mit Hilfe der Plakatreklame.



