TV-Tipp: "Die Verteidigerin: Der Fall Belling"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
22. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Verteidigerin: Der Fall Belling"
Der Mörder ist gefasst, die Indizienlage scheint eindeutig, aber der Film ist erst zu einem Drittel vorbei: Das ist ein beliebtes Krimimuster. Das Drehbuch zu "Der Fall Belling", Auftakt einer neuen SWR-Reihe, ist ganz ähnlich konzipiert, zumal die Täterin geständig ist. Linda Belling berichtet von einem heftigen Streit mit ihrem Mann Ole, er saß auf dem Geländer der Dachterrasse, ein Schubs genügte: "Ich habe ihn aus der Welt gestoßen." Weil sie auf anwaltlichen Beistand verzichtet hat, wird Lou Caspari als Pflichtverteidigerin berufen. Auch bei einer geklärten Schuldfrage, erläutert die Juristin, hätten Angeklagte das Recht auf einen fairen Prozess. Deshalb bittet sie um Erlaubnis, mit den Menschen zu sprechen, die dem Ehepaar nahestanden.

Linda Belling lässt nichts Schlechtes auf den Gatten kommen, doch bei den Gesprächen ergibt sich alsbald das Bild eines Narzissten, dem sein vorübergehender Erfolg als klassischer Musiker zu Kopf gestiegen ist.

Er sei immer "erratischer" geworden, heißt es, habe getrunken, sei schließlich aus dem Orchester geworfen worden und hat seiner Frau offenbar regelmäßig Gewalt angetan. Trotzdem habe Linda, die für eine Künstleragentur arbeitet und auch die Agentin des Gatten war, weiterhin zu ihm gehalten. Eine Kollegin spricht von "Stockholm-Syndrom".

Während der Gerichtsverhandlung bleibt die Witwe bei ihrer schuldbewussten Haltung und bittet Oles Eltern um Verzeihung. Der Tatbestand steht außer Frage, aber die Anwältin plädiert dafür, den Totschlag als minderschweren Fall zu beurteilen. Das Mindeststrafmaß wäre ein Jahr, ausgesetzt zur Bewährung. Das Gericht schließt sich dieser Sichtweise an, und damit endet der erste Akt; doch im Grunde geht die Geschichte erst jetzt richtig los. 

Schon vor der Urteilsverkündung hat das Drehbuch einen ersten Zweifel gesät, als ein früherer Freund von Linda Belling das Gespräch mit der Anwältin verweigert, aber einen irritierenden Satz sagt: Wäre Ole nicht in Lindas Leben aufgetaucht, wäre er jetzt tot. Ein zweiter Hinweis folgt im Verlauf der Feier, mit der das Urteil gefeiert wird: Als die Anwältin ihr Glas umstößt und die Scherben aufhebt, zeigt die Kamera ihre Mandantin aus der Untersicht.

Der Blick Bellings ist vielfältig interpretierbar, doch die Perspektive lässt nichts Gutes ahnen; ein unmissverständlicher, aber auch überinszeniert wirkender und später noch mal wiederholter Wink, dass sich was zusammenbraut. Ungleich subtiler als dieser Moment ist das musikalische Leitmotiv aus "Schwanensee", hier allerdings nicht mit Bezug zum Ballett, sondern zur düsteren Hollywood-Adaption "Black Swan". Auch "Der Fall Belling" wandelt sich in der zweiten Hälfte in gewisser Weise zum Thriller.

Regisseur Martin Eigler arbeitet schon lange mit Sönke Lars Neuwöhner zusammen, in der Regel schreiben sie die Drehbücher gemeinsam. Sehenswert sind ihre Krimis stets, auch wenn die Umsetzung diesmal betont zurückhaltend ist; der Film lebt vor allem von der Handlungsentwicklung und den beiden Hauptdarstellerinnen.

Andrea Sawatzki war abgesehen vom ZDF-Märchen "Rapunzel und die Rückkehr des Falken" (2023) zuletzt fast nur in Komödien zu sehen, allen voran als Ehefrau am Rande des ständigen Nervenzusammenbruchs in der "Familie Bundschuh"-Reihe (ZDF). Als Lou Caspari hat sie die vermeintlich einfachere Rolle: Die Verteidigerin ist eine Idealistin mit privaten Problemen.

Anfangs hat es den Anschein, als sei die schwierige Trennung vom Lebensgefährten überflüssiges Beiwerk, aber dann gerät Roland (Thomas Limpinsel) ohne sein Dazutun unversehens in ein Komplott, das sich gegen seine Kanzleipartnerin richtet. Plötzlich ergeht es Caspari wie dem Langohr in der Fabel von Hase und Igel: Wo immer sie auftaucht, reagieren die Menschen aus unerklärlichen Gründen mit zum Teil profunder Abneigung; der Igel war schon vor ihr da. 

Faszinierender und vor allem facettenreicher ist die Rolle der von Valery Tscheplanowa verkörperten Gegenspielerin, die sich von der reu- und demütigen verhuschten Affekttäterin zu einer selbstbewussten Frau wandelt. Ein Gespräch mit Lindas Ex-Freund lässt die Agentin in ganz anderem Licht erscheinen, aber da hat die Entwicklung schon längst eine fatale Eigendynamik angenommen.

Objektiv betrachtet mag es übertrieben erscheinen, wie der Ruf der Anwältin innerhalb kurzer Zeit regelrecht zerschmettert wird, aber im Rahmen der Handlung sind die Ereignisse völlig schlüssig. Am Ende geht dem Film allerdings die Zeit aus, der Schluss kommt etwas plötzlich.