Das Thema lag in der Luft, heißt es gern, wenn mehrere Filme zur gleichen Zeit ähnliche Geschichten erzählen. "In der Luft" liegt Gewalt gegen Frauen schon seit Jahrtausenden, aber zuletzt häufen sich Krimis über sogenannte Femizide: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind; der Begriff wurde vor knapp fünfzig Jahren von der Soziologin und Feministin Diana Russell geprägt. Die Täter sind in der Regel Ehemänner oder Ex-Partner. In den Filmen kommen meist auch die entsprechenden Statistiken zur Sprache: Fast jeden Tag gibt es einen Femizid in Deutschland.
Laut Bundesinnenministerium steigt die Zahl der gegen Frauen gerichteten Straftaten stetig. Nach Angaben des Bundesamts für Familie ist jede dritte Frau in Deutschland von sexueller und/oder körperlicher Gewalt betroffen; 25 Prozent der Frauen erleben solche Gewalttaten in ihrer Partnerschaft. Nur die wenigsten wenden sich allerdings an die Polizei: Die einen schämen sich, die anderen glauben nicht, dass ihnen geholfen werden könnte.
Für ihr Drehbuch zum insgesamt 26. "Stralsund"-Krimi mit dem zynischen Titel "Ablaufdatum" haben Lena Fakler und Zarah Schade den Spieß umgedreht: Hier sterben keine Frauen, sondern Männer, die sich zuvor geschlechtsspezifischer Straftaten schuldig gemacht haben. Besonders makaber ist der Einfall, dass die Typen den Tag ihres Todes im Voraus kennen: Er ist ihnen auf die Brust tätowiert worden. Im Nachhinein ergibt sich zwar ausgerechnet in dieser Hinsicht eine ganz erhebliche Unstimmigkeit, mit denen die Autorinnen das Publikum erfolgreich auf eine falsche Fährte locken, aber die Geschichte ist fesselnd, zumal sie schließlich einen verblüffenden Handlungsknüller offenbart.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zunächst konzentrieren sich die Ermittlungen jedoch auf einen "Female Fight Club". Hier haben sich betroffene Frauen zusammengefunden, um sich im Nahkampf zu üben und in Gesprächen ihre Erlebnisse aufzuarbeiten. Weil sich Kommissarin Jule Zabek (Sophie Pfennigstorf) beim ersten Besuch des FFC nicht als Polizistin zu erkennen gegeben hat, kann sie Mitglied der Gruppe werden. Ein passendes Erlebnis hat sie auch zu bieten: In der intensivsten Szene des Films berichtet sie den anderen, was ihr widerfahren ist und seither den Schlaf raubt; bei ihrer "Stralsund"-Einführung ("Der lange Schatten", 2023) hatte sie ein nicht unbeträchtliches Alkoholproblem.
Ein bisschen unnötig sind dagegen die ständigen Zwistigkeiten zwischen Zabek und ihrem aus Polen stammenden Kollegen Nowak (Jakub Gierszal); die Revierkämpfe dienen allzu offenkundig allein dem Zweck, das Thema des Films auch auf dieser Ebene zu spiegeln. In der Sache hat der Kollege allerdings recht: Was die Kommissarin "undercover" rausgefunden hat, lässt sich vor Gericht nicht verwenden. Dass er sich dabei ziemlich schnöselig aufführt, ist jedoch überflüssig. Umso überzeugender sind gerade dank der Arbeit mit den Darstellerinnen die Szenen mit den Frauen.
Auch die Trainingskämpfe sind glaubwürdig choreografiert, selbst wenn eine blutige Straßenprügelei zwischen Zabek und der Leiterin des Clubs (Lo Rivera), als die Tarnung der Polizistin aufgeflogen ist, etwas übertrieben wirkt. Interessanteste Figur ist Anja Mertens (Anna Herrmann), eine vom Gatten vergewaltigte junge Frau, die ihr Glück in den Armen eines geradezu vorbildlich empathischen und ungemein liebevollen Mannes (Helgi Schmid) gefunden hat. Die Tage des Ex (Jonas Minthe) scheinen dagegen gezählt; sein "Ablaufdatum" ist ausgerechnet der Valentinstag.
Mit der Polizei will er eigentlich nichts zu tun haben, zumal ihm eine Anklage wegen der Straftat droht, aber sterben will er natürlich auch nicht, also akzeptiert er den Polizeischutz; zu dem von den Autorinnen geradezu perfide eingefädelten Überfall kommt es trotzdem. Abgesehen von dem vorsätzlichen Logikfehler zu Beginn erfreut das von Regisseurin Ziska Riemann im besten Sinn solide umgesetzte Drehbuch ohnehin durch viele stimmige Details.
Gerade die Geschichten der Frauen wirken sehr authentisch, zumal das Drehbuch in diesem Zusammenhang auch den Hintergrund der Rechtsprechung beleuchtet: An deutschen Gerichten werden sogenannte Trennungstötungen nicht grundsätzlich als Mord, sondern auch als Totschlag betrachtet; die Freiheitsstrafe fällt dann deutlich niedriger aus. Sämtliche Indizien deuten darauf hin, dass die Frauen im Rahmen ihres Strebens nach Selbstermächtigung selbst zu Täterinnen geworden sind. Das Pendant zum Femizid lautet Androzid, aber entsprechende Tötungen ereignen sich in der Regel nur in kriegerischen Zusammenhängen.