TV-Tipp: "Wendezeit"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
10. Oktober, 3sat, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wendezeit"
"Wendezeit" erzählt die spannende Geschichte einer Doppelagentin zwischen Stasi, CIA und Familie im Herbst ’89. Petra Schmidt-Schaller überzeugt in einem packenden Spionagethriller, der Historie und Nervenkitzel meisterhaft verbindet.

Mauerbau, Mauerfall, Unrechtsstaat: In den Filmen, die in den letzten 35 Jahren über die DDR gedreht worden sind, waren die Rollen von Gut und Böse in der Regel klar erkennbar; es sei denn, die Hauptfiguren waren Spione. Das ZDF hat 2017 in dem Dreiteiler "Der gleiche Himmel" die Geschichte eines sogenannten Romeos erzählt. Diese jungen Mitarbeiter der ostdeutschen Staatssicherheit sollten sich im Westen an alleinstehende Frauen ranmachen, die als Informantin interessant sein könnten. "Wendezeit" (TV-Premiere war 2019) handelt nun gewissermaßen von einer "Julia": Mit Anfang zwanzig ist die junge Sozialistin Tatjana Leschke (Petra Schmidt-Schaller) im Auftrag der Stasi in die Identität der gleichaltrigen Saskia geschlüpft, die 1971 vom Westen in die DDR übergesiedelt ist. In dieser Rolle hat sie in Westberlin Amerikanistik studiert, geheiratet und Kinder bekommen. Offiziell arbeitet sie im Herbst 1989 in der Amerikanischen Botschaft; inoffiziell für die CIA. 

Zunächst schildert Autorin Silke Steiner, die zuvor überwiegend Drehbücher für heiteren Zeitvertreib geschrieben hat ("Opa wird Papa"), das Leben einer Doppelagentin. Nach außen ist Saskia eine ganz normale Mutter, die regelmäßig Ärger mit ihrer pubertierenden Tochter bekommt. Als eine Botschaftskollegin ihr von einem Ostberliner Überläufer erzählt, der als Mitgift die Tarnidentität einer Spionin mitbringt, macht sie den Mann unschädlich. Zwischendurch blendet Regisseur Sven Bohse immer wieder in die Vergangenheit zurück, um Tatjanas besonderes Verhältnis zu Markus Wolf (Robert Hunger-Bühler) zu beschreiben. Der Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) ist eine Art Ersatzvater; ihr leiblicher Vater (André M. Hennicke) hat sie schon früh auch mit drastischen Mitteln auf ihre Agentenlaufbahn vorbereitet. 

Das ist alles interessant und handwerklich auf hohem Niveau, schließlich zählt Bohse nicht zuletzt dank seiner Mehrteiler "Ku’damm 56" und "Ku’damm 59" (2016/18) zu den interessantesten deutschen Fernsehregisseuren. Richtig spannend wird "Wendezeit" jedoch erst, als die Handlung ihrem Titel gerecht wird und die Geschichte etwa zur Hälfte des Films quasi von vorn beginnt: Mit ungläubigem Staunen verfolgt Saskia, wie ihre Landsleute auf die Straße gehen und die Stasi-Zentrale stürmen. Dort lagert natürlich auch eine Akte mit den Klarnamen der Westagenten. Die Agentin könnte sich nach Russland absetzen, will aber ihre Familie nicht zurücklassen; Ehemann Richard (Harald Schrott) hat keine Ahnung von ihrem Doppelleben. Als die Stasi-Unterlagen nach Moskau transportiert werden sollen, sieht sie ihre Chance gekommen, und nun entwickelt sich der Film zu einem Spionagethriller á la John le Carré: Saskia fädelt einen riskanten Coup ein, bei dem sie beide Seiten an der Nase rumführen muss.

Wahrt "Wendezeit" zunächst eine gewisse Distanz zu seiner Hauptfigur, so wird die Spionin spätestens jetzt zur Identifikationsfigur, was Bohse weidlich ausnutzt, um das Publikum mitfiebern zu lassen. Die fabelhafte elektronische Musik von Fabian Römer ist der perfekte Spannungsverstärker, aber die Last des Films ruht natürlich auf den Schultern der Hauptdarstellerin. Petra Schmidt-Schaller verleiht der Figur einen enormen Facettenreichtum, und das nicht nur wegen der verschiedenen Verkleidungen, in die sie schlüpft. Auch charakterlich bedient die Schauspielerin ein breites Spektrum, sodass stets offen bleibt, welche ihrer Rollen die wahre ist. Trotzdem gelingt es ihr, Sympathie für Saskia zu wecken, obwohl sie über weite Strecken des Films keine Miene verzieht.

Endgültig sehenswert wird "Wendezeit" durch das bis heute ungelöste Rätsel um einen verschwundenen Teil der Stasi-Unterlagen, die sogenannten Rosenholz-Akten. Bohse hat die Nacht-und-Nebel-Aktion, in deren Verlauf CIA-Mitarbeiter das Material kopieren, äußerst packend inszeniert. Das gilt erst recht für Saskias verzweifelten Versuch, jeden Hinweis auf ihre Identität zu löschen. 
Neben der Spannung dieser auch filmisch sehr eindrucksvollen Szenen lebt "Wendezeit" nicht zuletzt vom existenziellen Kampf einer Frau, der es längst nicht mehr um Politik geht, sondern nur noch um ihr privates Glück. Es gelingt Saskia zwar, einen Deal mit einem Stasi-Oberst (Alexander Beyer) einzufädeln, aber ihr Chef (Ulrich Thomsen) ist längst misstrauisch geworden.

Schauspielerisch ist "Wendezeit" ohnehin ganz vorzüglich, und die Kombination von Spielszenen mit Originalaufnahmen während der großen Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz ist verblüffend.