Der Titel lässt einen Polizeifilm erwarten, aber Polizisten tauchen nur am Rande auf. Trotzdem sind sie in gewisser Weise Auslöser der Handlung. Die Geschichte beginnt nach kurzem Prolog mit einem Besuch Antons bei der Jugendgerichtshilfe. Der junge Mann hat äußerst unangenehme Post bekommen: Er wird mehrerer Delikte bezichtigt, darunter schwerer Landfriedensbruch. Hintergrund der Anklage ist der Prolog mit seinen krawalligen Impressionen von den üblichen Berliner Ausschreitungen am 1. Mai.
Fatalerweise kann sich der damals mutmaßlich betrunkene Anton an nichts mehr erinnern. An einer Demo, versichert er, habe er jedoch nicht teilgenommen. Später wird ihn seine Anwältin fragen, ob er einer linken Gruppierung angehöre, was er verneint. Links sei er aber schon, wirft die Mutter ein, als ob das in diesem Zusammenhang wichtig wäre.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Was nun folgt, ist die Rekonstruktion einer Zeit, die für die meisten Menschen fast in Vergessenheit geraten ist. Die Gegenwart des Films ist das Jahr 2023; die Ereignisse, um die es geht, haben zwei Jahre zuvor stattgefunden, als das Covid-Virus das Land im Griff hatte. Bei einem weiteren Gespräch mit der Anwältin (Luise Helm), die kaum älter wirkt er als er selbst, erkundigt sich Anton, warum sie sich vor allem für Kinder und Jugendliche engagiere. Sie habe das Gefühl, sagt sie, dass sich die Gesellschaft gegen diese Gruppe verschworen habe.
Beim ersten Treffen, zu dem die Mutter (Petra Schmidt-Schaller) ihren Sohn begleitet, kommt zur Sprache, wie vor allem ältere Teenager diese Phase erlebt haben, als sie sich nicht mit Freunden treffen oder ihre Volljährigkeit feiern durften. Dass Antons Eltern ausgerechnet zu dieser Zeit in Trennung lebten, dürfte die Atmosphäre daheim nicht verbessert haben. Sobald er 18 war, hat Anton kurz vorm Abi die Schule geschmissen und ist ausgezogen.
Ob er die zwei Jahre seither sinnvoll verbracht hat, bleibt offen. Eine Begegnung mit der Clique von damals legt die Vermutung nahe, dass er vor allem die Zeit totgeschlagen hat. Heute will er Koch werden. Er hat eine feste Freundin, lebt in einer kuscheligen Gartenlaube im Außenbezirk und schien auf einem guten Weg, aber der gelbe Umschlag mit dem Behördenbrief hat ihn komplett aus der Bahn geworfen.
Das Buch schrieb Laila Stieler, für "Die Polizistin" (2001) und "Tina mobil" (2022) mit dem Grimme-Preis sowie für "Gundermann" (2022) mit dem Deutschen Filmpreis geehrt. Im selben Jahr erhielt sie den Silbernen Bären für ihr Drehbuch zu "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush". Eine Geschichte über eine jugendliche Hauptfigur ist also eher ungewöhnlich für die Autorin, die seit 35 Jahren regelmäßig mit Andreas Dresen zusammenarbeitet.
Ihr Porträt des von Levy Rico Arcos (als Hauptdarsteller von "Sonne und Beton" für seine erste große Rolle mit verschiedenen Nachwuchspreisen ausgezeichnet) mit großer Intensität verkörperten jungen Mannes beschreibt jedoch sehr nachvollziehbar, wie sich Anton fühlt, als ihm das Schreiben vom Amt den Boden unter den Füßen wegzieht. Gleichfalls wie aus heiterem Himmel erlebt er eine Panikattacke, bricht in der Azubi-Küche zusammen und wird krank geschrieben.
Geduldig beobachtet Regisseurin Buket Alakuş nun, wie Anton versucht, mit den Bruchstücken seiner Erinnerung zu rekonstruieren, was damals passiert ist. Das Ergebnis ist erschreckend: Gänzlich unschuldig war er sicher nicht, wie schließlich ein Video verdeutlicht, doch im Grunde war er bloß zur falschen Zeit am falschen Ort. Er hat sich durch eine Provokation hinreißen lassen und ist schließlich zum Opfer willkürlicher Polizeigewalt geworden, aber beweisen lässt sich das nicht. Stieler ist im Verlauf ihrer Recherche auf die Studie "Gewalt im Amt" gestoßen, die zu einem frustrierenden Ergebnis kommt: Verfahren wegen rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeikräfte werden größtenteils eingestellt.
Der Film wirft daher unter anderem auch die Frage auf, welche Folgen es für Jugendliche hat, wenn ihr Vertrauen in den Rechtsstaat und somit in das gesamte System derart erschüttert wird: Die Aussagen der beteiligten Beamten sind offensichtlich abgesprochen; angeblich hat Anton einen Pflasterstein geworfen. Entsprechend wichtig sind die "Brückenfiguren" der Handlung, jene Erwachsenen also, die Anton eine gewisse Zuversicht vermitteln. Das gilt für seinen Küchenchef (Michael A. Grimm) ebenso wie für den Mitarbeiter (Andreas Anke) der Jugendgerichtshilfe; und natürlich neben der Anwältin auch für die Mutter, die aber erst mal damit klar kommen muss, dass ihr Sohn nun sein eigenes Leben lebt. "Polizei" erzählt beiläufig auch von einem Generationenkonflikt.




