Mit einer kurzen Fingerbewegung streicht Nicolas Koch den kleinen Mehlhaufen glatt, der seine rechte Hand füllt. "Sehr gut", sagt der 25-Jährige und mustert das Mehl mit fachmännischem Blick. "Schön weich, schön hell. Keine Schalenteile drin. So wie wir uns das wünschen."
Koch ist Müller, einer von rund 3.000 Fachleuten in Deutschland, die dieses traditionelle Handwerk erlernt haben. Die Mehlprobe hat er aus einer Rohröffnung unter einem "Plansichter" gezogen, einer schrankartigen Siebmaschine, die das Mehl von der Kleie trennt. Mehrere solcher elektrisch betriebener Maschinen rütteln hier oben auf dem Sichterboden der Rüninger Mühle in Braunschweig vor sich hin.
Die Mühle ist ein Traditionsbetrieb, gegründet 1312. Hier hat Koch vor einigen Jahren seine Ausbildung absolviert. Jetzt will er sich weiterentwickeln, vielleicht einmal irgendwo Betriebsleiter werden. Deshalb hat er sich bei der Deutschen Müllerschule in Braunschweig eingeschrieben, einer der weltweit wenigen Fortbildungsstätten für Müller. Hier studieren Müller aus Deutschland und vielen anderen Ländern, um sich das nötige Know-how für Leitungsaufgaben zu holen.
"Müller ist ein unglaublich wichtiger Beruf", sagt Koch. "Man ist Teil einer Grundsäule für Ernährung. Egal, wie sich die Menschheit entwickelt: Mehl und Brot brauchen wir immer."
Mit der "klappernden Mühle am rauschenden Bach", wie es in dem Kinderlied heißt, hat der Job allerdings heute kaum noch etwas zu tun. Müller ist heute ein Hightech-Beruf. Wer ihn ergreift, muss hochkomplexe industrielle Anlagen bedienen, steuern und überwachen und sich mit Computern auskennen.
Mühlstein und Wasserkraft haben ausgedient
"Müller schleppen heute keine Säcke mehr", betont Gabriele Lühr, Pädagogische Leiterin bei der Deutschen Müllerschule. Weil es körperlich nicht mehr so anstrengend ist wie früher, interessieren sich auch immer mehr Frauen für den Job: Ihr Anteil liegt inzwischen bei 10 bis 20 Prozent.
Die Rüninger Mühle etwa, die mit der Müllerschule zusammenarbeitet, ist ein vollautomatisierter Betrieb, der täglich rund 1.300 Tonnen Getreide in Mehl verwandelt. Damit gehört sie zu den größeren ihrer Art in Deutschland. Rund 70 Lastwagen pro Tag bringen das Getreide zu den bis zu 87 Meter hohen Silos.
Sieben Tage die Woche rattert die Anlage rund um die Uhr, kontrolliert von einer Leitstelle mit 20 Bildschirmen. Nur im Störfall greifen die Müller heute noch per Hand ein.
Unaufhörlich zerkleinern Dutzende von sogenannten Walzenstühlen die Weizen- oder Roggenkörner - der gute alte Mühlstein hat längst ausgedient. Durch ein unübersehbares Geflecht von Rohren wird das Mahlgut bis zu 24 Mal per Luftdruck über mehrere Etagen hoch zu den Siebmaschinen befördert und dann wieder zurückgeführt, bis das Korn ganz fein gemahlen ist.
Maßstäbe in puncto Nachhaltigkeit
Deutschlandweit sind noch rund 500 Mühlen aktiv, darunter mehr als 170 industrielle Feinmühlen. Einige Mühlen werden noch wie früher von Wind oder Wasser betrieben, doch diese stellen meist nur kleine Mengen für Nischenprodukte her. "Es ist wie mit anderen Produkten auch", sagt Betriebsleiter Stefan Kliche (47): "Die Großen haben die Kleinen verdrängt, weil der Kunde im Supermarkt für sein Päckchen Mehl nicht mehr als 70 Cent bezahlen will." Die meisten der alten Wind- und Wassermühlen sind heute Denkmäler oder dienen neuen Zwecken.
Immerhin haben die alten Mühlen Maßstäbe in puncto Nachhaltigkeit gesetzt: Ihre Antriebstechnik durch Wind und Wasser ist der Prototyp für erneuerbare Energien. Diesem historischen Vorbild folgend setzen heute viele moderne Mühlen auf grünen Strom aus Windkraft oder Fotovoltaik, heißt es beim Verband deutscher Mühlen mit Sitz in Berlin.
In der Deutschen Müllerschule, gegründet 1881, lernt Koch den ganzen Prozess des Mahlens zu verstehen - vom Korn bis zum fertigen Mehl. Auch die Konstruktion moderner Mühlenanlagen steht hier auf dem Stundenplan.
"Unsere Leute lernen, das große Ganze zu sehen", betont Gabriele Lühr. Die Berufsaussichten nach dem zweijährigen Studium seien bestens, denn nach wie vor gebe es zu wenig staatlich geprüfte Techniker im Müller-Handwerk.
Und die Einsatzorte sind vielfältig, sagt Koch: "Müller stellen nicht nur Mehl oder Haferflocken her, sondern auch Tierfutter. Es gibt Ölmühlen, Gewürzmühlen, Kaffeemühlen und Teemühlen." Für ihn steht fest: "Ich bin sehr stolz, von Beruf ein Müller zu sein."