Oben Luxus, unten harte Maloche

zwei Menschen stehen an der Reling eines Kreuzfahrtschiffes
photocase/thomasfuer
Während Reisende oben entspannt aufs Wasser schauen, muss die Crew arbeiten. Je tiefer der Arbeitsplatz im Schiffsbauch liegt, umso härter sind oft die Bedingungen.
Arbeiten auf Kreuzfahrtschiffen
Oben Luxus, unten harte Maloche
Wer Urlaub machen will, entscheidet sich immer öfter für eine Kreuzfahrt. Doch hinter der weißen Fassade der Schiffe verbirgt sich eine Arbeitswelt, über die die meisten Passagiere wenig wissen.

Die Bremerhavener Kulturwissenschaftlerin Katharina Bothe, die am Deutschen Schifffahrtsmuseum in der Seestadt arbeitet, erforscht die teils prekären Arbeitsbedingungen an Bord und will sich damit an der Universität Hamburg habilitieren. 

epd: Frau Bothe, Sie sagen, Kreuzfahrtschiffe sind ein besonders eindrückliches Beispiel für soziale Ungleichheit. Warum?

Katharina Bothe: Das Kreuzfahrtschiff ist ein Mikrokosmos globaler Arbeitsteilung, mit einer Crew aus bis zu 100 Nationen. Wobei einige unter prekären Bedingungen beschäftigt sind, andere nicht. Und auch sonst treffen da auf engstem Raum zwischen Servicepersonal einerseits und Passagieren andererseits Welten aufeinander. Ich schaue mir vor allem die Arbeitsbedingungen an Bord von Passagierschiffen an, die bei eingeschränkten Rechten oft von langen Schichten und wenig Freizeit geprägt sind.

Haben Sie ein Beispiel?

Bothe: Normalerweise gilt an Bord das internationale Seearbeitsübereinkommen, wonach 72 Arbeitsstunden in der Woche nicht überschritten werden dürfen. Aber die Realität sieht nicht selten anders aus. Viele arbeiten mehr als zwölf Stunden, an sieben Tagen in der Woche. Das sind harte Bedingungen. Auch Entlohnung und Freizeit spielen in meiner Forschung eine wichtige Rolle.

Was unterscheidet denn den Alltag der Crew zwischen dem Leitstand mit den Offizieren oben und beispielsweise der Küche weiter unten im Schiff?

Bothe: Je höher jemand auf dem Schiff angestellt ist, desto geringer ist die Arbeitszeit. Das gilt auch mit Blick auf die Vertrags-Laufzeiten, etwa bei Offiziers-Personen, die meistens einen Kontrakt zwischen vier und sechs Monaten haben. Wer weiter unten arbeitet, ist oft neun Monate an Bord, in denen sie oder er von der Familie getrennt ist. Das ist ein rund-um-die-Uhr-Job, Arbeits- und Lebenswelt verbinden sich. Und das meist über Jahrzehnte, weil die Menschen in den unteren Hierarchien in ihrem Heimatland oft keinen anderen Job finden.

Schwer, da mal Abstand zu gewinnen…

Bothe: Tatsächlich sind vor allem Landgänge ganz entscheidend als Möglichkeit, sich wieder zu erholen. Das Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, ist unbeschreiblich gut, das habe ich auch selber schon erfahren. Je nach Route gibt es auf Kreuzfahrtschiffen durchaus Möglichkeiten, mal von Bord zu kommen. Aber in der Realität sind die Chancen auf einen Landgang aufgrund der langen und harten Arbeit nicht selten eingeschränkt, wenn etwa die dienstfreie Zeit nicht ausreicht.

"Das ist eine Welt mit starken sozialen Gegensätzen, und das schon über Jahrhunderte."

Sie kritisieren, dass es auf Kreuzfahrtschiffen noch immer koloniale Strukturen gibt. Was meinen Sie damit?

Bothe: Wir finden auf einem modernen Kreuzfahrtschiff viele höher bezahlte Offiziersposten, insbesondere im nautischen Bereich, die von Mitarbeitenden aus Europa und den USA besetzt werden. Das niedrig bezahlte Servicepersonal stammt oft aus Entwicklungs- und Schwellenländern, von den Philippinen etwa, aus Indien, Indonesien und Lateinamerika. Das ist eine Welt mit starken sozialen Gegensätzen, und das schon über Jahrhunderte. Ich finde es bezeichnend, dass beispielsweise indische Besatzungsmitglieder laut alten Personallisten, die ich in Archiven gefunden habe, fast die gleichen Positionen einnehmen wie vor 100 oder 200 Jahren. Damals haben sie schon vor allem im Servicebereich gearbeitet, haben Kabinen aufgeräumt, waren in der Küche und in den Maschinenräumen tätig, ganz viel unter Deck.

Wird diese Ungleichheit noch verstärkt durch den globalen Markt der Kreuzfahrtbranche?

Bothe: Ja, vor allem, weil es um wirtschaftliche Interessen geht. Wir sprechen von einem Arbeitsmarkt, der unter anderem mit Blick auf die Personalkosten in hohem Maße wettbewerbsabhängig ist. Da geht es auch um die Flagge, unter der das Schiff betrieben wird. So fahren die meisten Kreuzfahrtschiffe nicht unter deutscher Flagge und damit auch nicht unter den deutschen Arbeitsbedingungen, zu denen beispielsweise ein Mindestlohn gehört. Flaggenländer wie die Bahamas, Panama, Liberia und Malta haben niedrigere Arbeitsstandards und bieten den Reedern Steuervergünstigungen.

Wie recherchieren Sie für Ihre Habilitation?

Bothe: Ich führe Interviews mit Crewmitgliedern, spreche mit Gewerkschaften und internationalen Organisationen, beobachte Internetforen. Auch die Seemannsmission ist wichtig, weil sie direkten Kontakt zu den Besatzungen hält. Ich fahre selbst auf Schiffen mit und spreche mit Reedereien.

Es geht Ihnen am Ende um Handlungsempfehlungen für Politik und Wirtschaft, die sozial gerechtere Arbeitsbedingungen im Kreuzfahrtsektor unterstützen. Was ist am wichtigsten?

Bothe: Zunächst: Ich merke, dass Reedereien für das konstruktive Gespräch offen sind, auch, weil Personal gesucht wird. Wenn es um Verbesserungen geht, stehen natürlich verbindliche internationale Regelungen unabhängig von der Flagge an oberster Stelle. Kontrollen müssen verbessert, die Stellung der Gewerkschaften gestärkt werden. Wir brauchen mehr Unterstützung für die psychische Gesundheit der Beschäftigten, Landgang ist wichtig. Und die Kommunikationswege sollten verbessert werden. Beschäftigte brauchen Anlaufstellen, um über Konflikte zu sprechen. Viele trauen sich das nicht, weil sie Angst haben, dann den nächsten Arbeitsvertrag nicht zu bekommen. Und ich denke, Passagiere sollten vermehrt auch nach den Arbeitsbedingungen an Bord fragen, wenn sie eine Kreuzfahrt buchen wollen.