Den Überblick hat Nils Tolle, beigefarbene Kappe, Lederstiefel, muskulöse Arme. Der 32-Jährige hat den Hof Tolle bei Kassel gemeinsam mit seinen drei Freunden Marius, Markus und Tim vor ein paar Jahren von seinen Eltern übernommen. Die Freunde leisten Pionierarbeit und sind Teil mehrerer Forschungsprojekte, damit sie hier, im nordhessischen Calden-Fürstenwald, auch in einer absehbar heißeren Welt noch Landwirtschaft betreiben können.
Der Hof Tolle mit seinen 45 Hektar Acker, 15 Hektar Grünland, einem Gemüsegarten mit Tomaten, Lauch und Salat sowie den schottischen Hochlandrindern ist ein Klima-Vorzeigeprojekt. Studierende kommen zur Besichtigung vorbei, neulich war die Landjugend da. Und 2022 wurde das Team für seine Klimastrategie vom Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt mit dem "Blauen Kompass" ausgezeichnet.
Für Tolle war die Dürre 2018 ein einschneidendes Erlebnis - auch wenn er damals parallel noch studierte. "Da habe ich gemerkt: So klassisch weiter Landwirtschaft machen, das wird nicht funktionieren", erzählt er. Zwar habe es auch früher trockene und nasse Jahre gegeben - aber eben nicht in dem Ausmaß.
Bäume halten das Wasser auf
Der Agrarwissenschaftler Christoph Gornott bestätigt den Eindruck: "Hitze, Trockenheit, aber auch Starkregen haben aufgrund des Klimawandels an Intensität und Häufigkeit deutlich zugenommen", sagt der Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Für die Landwirtschaft sei das "sehr ungünstig, denn die meisten Kulturen brauchen eine relativ gleichmäßige Verteilung von Niederschlägen und reagieren empfindlich auf extreme Hitze oder Trockenheit", sagt Gornott, der auch an der Universität Kassel eine Professur innehat.
Die für den Hof entwickelte Klimastrategie soll helfen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Für Hitzeperioden baut Tolle Kichererbsen an. Diese benötigen nur wenig Wasser. Um auch gegen Starkregen gewappnet zu sein, haben Tolle und seine Freunde Bäume gepflanzt, mitten auf dem Feld. "Die Agroforststreifen sind eine Allzweckwaffe gegen den Klimawandel", erläutert Tolle. Die Bäume halten das Wasser auf, damit die Felder nicht weggeschwemmt werden.
Es geht viel ums Ausprobieren, um den Hof zukunftsfest zu machen. Zur Strategie gehört auch die Direktvermarktung eines Teils der Ernte über eine Gemüsekiste, ebenso wie ein kleiner Hofladen. "Es geht im Kern um eine Streuung des Risikos - und am Ende ums wirtschaftliche Überleben", sagt Tolle.
Bisweilen wirkt der Hof dabei wie ein Versuchslabor unter freiem Himmel. Kurz vor der Mittagspause rollt ein Transporter der nahegelegenen Universität Kassel auf das Hofgelände. Mit einem Schlagbohrhammer treibt Versuchstechnikerin Laura Kauz kurz darauf mehrere 90 Zentimeter lange Metallstäbe in die Erde. Die klumpigen Proben werden von ihr und Forscherin Christiane Weiler anschließend ausgekratzt, in durchsichtige Plastiktüten gepackt und dann im Labor auf den Nährstoffgehalt kontrolliert.
"Irgendwann ist es zu spät"
"Das ist ein ganz besonderes Forschungsprojekt, weil wir hier Praxisforschung machen", sagt Weiler. "Die Landwirtinnen und Landwirte haben sich überlegt, was wir hier gemeinsam forschen wollen." Auf dem Hof Tolle untersuchen die Wissenschaftlerinnen gemeinsam mit den Landwirten zum Beispiel Untersaaten. Dazu wird zwischen Lauchkulturen Klee ausgesät, der auch nach der Ernte den Boden über den Winter bedeckt, aber auch Nährstoffe im Boden hält.
Ginge es nach Tolle, müsste jeder Landwirtschaftsbetrieb jetzt anfangen, einen auf ihn angepassten Klima-Fahrplan zu entwickeln. "Denn irgendwann ist es zu spät." Das Bewusstsein für die Klimakrise sei durchaus vorhanden, "auch in eher konservativen Kreisen". Aber häufig erschienen andere Probleme dann doch als dringlicher. "Wer 12 bis 14 Stunden auf den Beinen war, dem fehlt dann vielleicht auch einfach die Energie", sagt Tolle.
Eine der Ursachen für die hohe Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft sei der große wirtschaftliche Druck. "Für vernünftige Prozesse braucht es Freiräume", sagt Tolle. Doch die fehlten, weil die Preise für Agrarprodukte im Keller seien. Helfen würden mehr Fördermittel für Bildung und Beratung. Langfristig müssten sich aber die Marktstrukturen ändern.
Doch weil die Arbeit auch auf dem Hof Tolle vorerst nicht weniger wird, packen hier alle mit an. Auch Vater Georg Tolle, der den Betrieb mit seiner Frau Beate in seiner heutigen Form aufgebaut und schon früh auf ökologischen Landbau gesetzt hat. Der 66-Jährige ist froh, dass der Hof diesen Weg eingeschlagen hat, doch bisweilen macht er sich angesichts des Klimawandels auch Sorgen. "Es belastet mich schon manchmal, ob ich nicht ein Erbe übergebe, mit dem sie am Ende überfordert sind", sagt er. Und dann: "Trotzdem ist es immer noch der schönste Beruf, den es gibt."