Die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen in Deutschland sinken dramatisch. Allein im vergangenen Jahr traten rund 345.000 Menschen aus der evangelischen und weitere 322.000 aus der katholischen Kirche aus - zusammen entspricht das einer ganzen Stadt von der Größe Stuttgarts oder Leipzigs.
Was tun gegen den Schwund? Eine Antwort lautet: zeitgemäßere Formen finden. Dazu gehört für jüngere Pfarrerinnen und Pfarrer auch die Kleidung. Seit mehr als 200 Jahren ist der schwarze Talar die offizielle Amtstracht evangelischer Pfarrer. Eingeführt wurde er 1811 auf Anordnung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Bis heute gilt er in allen 20 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als verbindlich.
"Im Regelfall predigen Pfarrer im Talar", sagt eine EKD-Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) und verweist auf Paragraf 36 des Pfarrdienstgesetzes, der das regelt. Der Talar sei das sichtbare Zeichen ihres Amtes. Allerdings gebe es Ausnahmen, etwa bei Gottesdiensten im Freien oder bei Jugendgottesdiensten. Dort könne auf den Talar verzichtet werden: "Dies geschieht aus praktischen Gründen oder weil die Form des Gottesdienstes es nahelegt."
Für die konkrete Ausgestaltung dieser Vorschriften haben die EKD-Gliedkirchen eigene Regelungen. So ist der Talar etwa in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ordinierten Pfarrpersonen vorbehalten. In der Evangelischen Landeskirche in Baden dürfen ihn auch Diakone und Prädikanten tragen. Beide Kirchen betonen im Gespräch mit dem epd jedoch, dass der Verzicht auf den Talar bei Pfarrerinnen und Pfarrern die Ausnahme darstellt.
Kirche setzt stärker auf Interaktion
Ganz anders handhaben es die Freikirchen: Hier ist der Talar zumeist unbekannt. Viele Pastoren wollen durch moderne und zwanglose Kleidung Nähe zur Gemeinde signalisieren. Ob Anzug oder Jeans mit Hemd - das Anliegen bleibt gleich: Distanz zur Gemeinde soll gar nicht erst entstehen. Nach Einschätzung des Heidelberger Theologieprofessors Fritz Lienhard bleibt der Talar im landeskirchlichen Bereich zwar Standard; er verleihe der Predigt die nötige Autorität.
Gleichzeitig beobachtet Lienhard einen tiefgreifenden Wandel: "Früher erinnerte die evangelische Kirche an eine Behörde - eine starke Institution. Heute entwickelt sie sich zunehmend zu einer Organisation, vergleichbar mit einer NGO." Dieser Wandel zeige sich auch in der Kommunikation. So setze man heute in der Kirche stärker auf Interaktion. Es gehe um eine Kommunikation, die auf Augenhöhe stattfindet, so Lienhard.
Aus diesem Grund predigten auch zunehmend mehr Pfarrer nicht mehr von der Kanzel, die traditionell über den Köpfen der Gemeinde thront, sondern vom Altar oder einem Lesepult aus. Sie empfänden die Kanzel als Symbol einer "starken Machtasymmetrie zwischen Pfarrperson und Gemeinde". Das sei heute vielfach nicht mehr gewünscht.
Der Trend zur Verkündigung auf Augenhöhe findet also nicht nur auf kommunikativer Ebene, sondern auch im äußeren Erscheinungsbild seinen Ausdruck: weniger Amtstracht, mehr Alltag. Ob sich durch Anzug statt Talar und einen veränderten Auftritt allerdings der Mitgliederschwund aufhalten lässt, bleibt fraglich - und wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen.