"Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", heißt es in Friedrich Schillers Drama "Wilhelm Tell". Wie es um Julikas Frömmigkeit bestellt ist, tut nichts zur Sache, und im Grunde sind die Nachbarn auch nicht böse; aber sie machen ihr das Leben trotzdem verdammt schwer. Dominique Lorenz (Buch) und Michaela Kezele (Regie) erzählen in ihrer Tragikomödie mit dem schlichten Titel "Eine Liebe später" die Geschichte einer jungen Witwe, die sich neu verliebt.
Das mag als Handlung zunächst nicht weiter ungewöhnlich klingen, aber nun kommen die Nachbarn ins Spiel: Ehemann Michael ist vor zwei Jahren bei einem Fahrradunfall ums Leben gekommen, kurz nachdem das Paar sein neues Eigenheim bezogen hatte. Bauherr war Julikas Schwiegervater Georg Fricke (Miroslav Nemec). Er wohnt mit seiner Frau Christa (Lilly Forgách) gleich nebenan. Das Verhältnis der drei ist auch dank der beiden Enkelkinder denkbar innig. Das ändert sich allerdings radikal, als Georg eines Morgens in Julikas Haus kommt, um einen Wasserhahn zu reparieren, und schockiert auf einen weitgehend unbekleideten fremden jungen Mann trifft.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Rolle des Schwiegervaters ist allerdings etwas überzogen, zumal Miroslav Nemec den Mann jedes Feingefühls beraubt. Dass Schreiner Georg auf die Schicksale von Mutter und Großmutter verweist, klingt doch etwas weit hergeholt: Beide waren gleichfalls verwitwet und wären nie auf die Idee gekommen, der Familie einen neuen Mann vor die Nase zu setzen. Selbst dem konservativen Georg dürfte zumal angesichts von Julikas jungen Jahren klar sein, dass seine Schwiegertochter nicht den Rest ihres Lebens im Zölibat leben wird.
Selbst wenn seine Empörung natürlich nicht zuletzt ein Zeichen der Trauer ist: Gerade angesichts der Realitätsnähe, mit der Lorenz und Kezele ihre Geschichte ansonsten erzählen, wirkt Georgs Poltern zu dick aufgetragen. Gattin Christa verhält sich nicht ganz so extrem, reagiert allerdings ähnlich unwirsch, als Julika beginnt, Michaels Sachen auszusortieren: Die Frickes betrachten das Haus in seiner Gänze als Erinnerung an den Sohn, was Julika zur Kuratorin im Museum ihres eigenen Lebens macht.
Dass auch sie nicht loslassen kann, zeigen ihre einseitigen Zwiegespräche mit dem verstorbenen Gatten: Sein Mobiltelefon ist nach wie vor aktiv. Wann immer sie Trost braucht, ruft sie ihn an, um sich ihren Kummer von der Seele zu reden.
Dies ist aber nur die eine Hälfte der Tragikomödie (eine Wiederholung aus dem Jahr 2022). Die andere entspricht dem Schema der klassischen Liebesgeschichte. Sie beginnt in der Straßenbahn, als Julika bei einer Fahrscheinkontrolle einem sympathisch wirkenden jungen Mann ihr Ticket zusteckt. Konstantin (Golo Euler) will sich mit einer Einladung zum Kaffee revanchieren, und das gleich zwanzigmal. Es kommt zu einem ersten Treffen, das bei ihr daheim endet, allerdings ohne Sex.
Das kann Georg am nächsten Morgen natürlich nicht ahnen, als er in der Küche auf Konstantin trifft. Verbittert stellt er später fest, dass die Schwiegertochter ihre animalischen Triebe in jenem Bett auslebe, das er gemeinsam mit seinem Sohn gebaut habe. Auf Julikas Forderung nach Privatsphäre reagiert Georg mit der Forderung nach Miete, denn ihr Haus gehört den Schwiegereltern, zumal der von seiner Mitbewohnerin vor die Tür gesetzte Konstantin schließlich auch noch bei ihr einzieht.
Diese zweite Ebene hat aber noch eine weitere Schattenseite, denn Georgs Vorbehalte sind nicht aus der Luft gegriffen: Konstantin ist ein Lebenskünstler, der seinen Beruf als Lehrer aufgegeben hat, weil er die Kinder nicht zu kleinen Kapitalismusknechte erziehen wollte. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich im Sommer mit Fahrradstadtführungen und im Winter als Surflehrer im indischen Goa; dorthin wird er, Liebe hin, Julika her, demnächst auch wieder entschwinden.
Trotz des dunklen Subtextes hat Regisseurin Kezele – anschließend hat sie unter anderem den sehenswerten Katharina-Witt-Film "Kati – Eine Kür, die bleibt" (2024) gedreht – den potenziellen Dramenstoff beschwingt umgesetzt. Gerade Lucie Heinze und Golo Euler verkörpern ihre Rollen sehr sympathisch, zumal das Drehbuch beide mit viel Spielmaterial versorgt. Sehr schön sind zum Beispiel die Szenen, in denen es Konstantin gelingt, Julikas kleinem Sohn die Angst vorm Fahrradfahren zu nehmen. Besonders hübsch ist die Idee mit den zwanzig Kaffees, mit deren Hilfe Kezele und Lorenz schließlich das Happy End einfädeln können, ohne Konstantin und seine Ideale zu verraten.