Die Menschen im Gaza-Streifen sind laut dem Welternährungsprogramm (WFP) akut von einer Hungersnot bedroht. Der anhaltende Krieg und die strengen Beschränkungen bei Lieferung und Verteilung humanitärer Hilfe hätten zu der katastrophalen Ernährungslage für Hunderttausende Menschen geführt, teilt das WFP am Dienstag in Rom mit. Die Zeit für umfassende humanitäre Hilfe werde knapp. Nach WFP-Angaben haben zwei der drei Indikatoren für eine Hungersnot den schlimmsten Stand seit Beginn des Konflikts im Oktober 2023 erreicht.
Angesichts der dramatischen Lage im Gaza-Streifen plant die Bundesregierung die Organisation von Hilfe aus der Luft. Flugzeuge der Bundeswehr sollen in den nächsten Tagen damit beginnen, Hilfsgüter über dem Gaza-Streifen abzuwerfen. Zwei Transportflieger vom Typ A400M seien derzeit auf dem Weg nach Jordanien, sagt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Dienstag nach einem Gespräch mit dem jordanischen König Abdullah II. in Berlin.
Erneut forderte Merz auch einen "umfassenden" Waffenstillstand in Gaza. In der Sitzung des Sicherheitskabinetts wurden laut dem Regierungschef allerdings keine weiteren Schritte beschlossen, die den Druck auf die israelische Regierung erhöhen könnten. Die Idee von Kanzler Merz ist indes auf Kritik gestoßen. Das Welternährungsprogramm (WFP) hat Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft für die hungernden Menschen im Gaza-Streifen als "nicht praktikabel" kritisiert.
Kritik an "Hilfsabwürfen" für Gaza-Streifen
In dicht besiedelten Gebieten wie dem Gaza-Streifen gefährdeten die herabfallenden schweren Pakete die Bevölkerung sehr stark, sagt der WFP-Direktor für Notsituationen, Ross Smith, in Genf. Zudem hätten die UN und ihre Partner ein funktionierendes und bewährtes System der humanitären Nothilfe für den Gaza-Streifen zur Verfügung hätten. Die Besatzungsmacht Israel müsse nur alle Grenzübergänge öffnen und den Helfern erlauben, humanitäre Güter per Lastkraftwagen in den umkämpften Gaza-Streifen zu liefern.
Angesichts der humanitären Not im Gaza-Streifen müssten vor allem die Grenzübergänge dauerhaft geöffnet werden, fordert die stellvertretende Teamleiterin für die internationale Programmarbeit beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), Julia Meixner dem Evangelischen Pressedienst (epd). Inzwischen habe die humanitäre Krise auch für die Mitarbeitenden der DRK-Schwestergesellschaft, dem Palästinensischen Roten Halbmond, dramatische Folgen. Sie hätten "teils massiv an Gewicht verloren". Zusätzlicher Druck entstehe durch die ständige Lebensgefahr: "Es ist ein Zusammenspiel zwischen schlechter Versorgungslage, Traumatisierung, Schmerz, Angst und ständiger Vertreibung", sagt Meixner.
Spitzenvertreter der Kirchen in Deutschland hatten bereits vergangene Woche ein Ende der Gewalt im Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen gefordert. Die Spirale der Gewalt müsse ein Ende finden, sagte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, am Donnerstag in Hannover. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland, Reverend Christopher Easthill, äußerte sie sich besorgt über die Lage im Nahen Osten.
Die Hilfsorganisation Care und das UN-Ernährungsprogramm fordern indes einen sofortigen und vollständigen Waffenstillstand für Gaza. Weder Hilfslieferungen aus der Luft noch die israelische Ankündigung einer einwöchigen humanitären Pause in bestimmten Teilen des Gazastreifens seien eine Lösung für die dortige humanitäre Krise und die Hungerkrise, erklärt die Hilfsorganisation am Dienstag in Bonn.
Hilfsgüter stehen bereit, Israel blockiert weiter
Monatlich seien mehr als 62.000 Tonnen an Lebensmitteln nötig, um die Menschen in Gaza ausreichend zu versorgen, sagt der Direktor des Berliner WFP-Büros, Martin Frick. Seit dem 21. Mai wurden demnach lediglich 22.000 Tonnen geliefert. "Menschen in Gaza sterben nicht, weil es keine Hilfe gibt - sondern weil sie nicht durchkommt", sagt der Berliner WFP-Direktor. Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) forderte ebenfalls eine massive Ausweitung der humanitären Hilfe. Tausende Trucks mit Hilfsgütern stünden in Jordanien und Ägypten bereit, um in das Küstengebiet am Mittelmeere zu fahren.
Die humanitäre Katastrophe habe "ein unvorstellbares Ausmaß erreicht und ist nicht zu rechtfertigen", erklärte am Freitag auch die Präsidentin von "Brot für die Welt", Dagmar Pruin, die auch Präsidentin der evangelischen Diakonie Katastrophenhilfe ist. Alarmiert über die humanitäre Krise in Gaza äußerten sich auch die medizinische Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" und das UN-Kinderhilfswerk Unicef. "Kinder im Gaza-Streifen verhungern", erklärte Unicef-Regionaldirektor Edouard Beigbeder und forderte einen uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe.
Alle 48 Stunden verhungern mindestens 4 Kinder
Israel blockiert seit Wochen Hilfslieferungen in größerem Umfang für den Gaza-Streifen, unter anderem wegen des Vorwurfs, diese würden von der Hamas instrumentalisiert. Die UN weisen die Vorwürfe zurück. Die UN fordern seit Monaten mehr Hilfe für die Menschen im Gaza-Streifen. Unicef-Vertreter Beigbeder verwies am Freitag auf Angaben der palästinensischen Behörden, denen zufolge innerhalb von nur 48 Stunden mindestens vier Kinder verhungert seien.
Schwere Mangelernährung breite sich unter Heranwachsenden schnell aus - "und die Welt sieht tatenlos zu", beklagte der Regionaldirektor für den Nahen Osten und Afrika. Auch "Ärzte ohne Grenzen" behandelt nach eigenen Angaben immer mehr mangelernährte Menschen in Gaza. "Wir sehen in unserer Klinik täglich die schlimmen Folgen dieser Versorgungsengpässe in Gaza", sagte die Projektkoordinatorin der Hilfsorganisation in Gaza-Stadt, Caroline Willemen.