Kirsten Fehrs: Schutz vor Gewalt hat Vorrang

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil, EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs und Michael Meister, Staatsminister im Kanzleramt am Gendarmenmarkt in Berlin.
epd-bild/Christian Ditsch
Es gehe um den gerechten Frieden, "der dem Schutz vor Gewalt als elementarstem Schutz des Lebens einen Vorrang einräumt", sagte die Kirsten Fehrs beim EKD-Johannisempfang in Berlin.
EKD-Johannisempfang in Berlin
Kirsten Fehrs: Schutz vor Gewalt hat Vorrang
Seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine streitet die evangelische Kirche neu über ihre Haltung zu militärischer Gewalt. In diesem Jahr soll es ein Ergebnis geben. Die EKD-Ratsvorsitzende deutet an, dass es zu einer Akzentverschiebung kommen wird.

In der Debatte über die Rechtfertigung militärischer Mittel in Konflikten hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, den Schutz vor Gewalt als oberste Maxime definiert. Es gehe um den gerechten Frieden, "der dem Schutz vor Gewalt als elementarstem Schutz des Lebens einen Vorrang einräumt", sagte die Hamburger Bischöfin am Mittwochabend beim EKD-Johannisempfang in Berlin.

Dieser Vorrang ist Fehrs zufolge "eine entscheidende Weiterentwicklung" der EKD-Position gegenüber der Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007, deren Überarbeitung aktuell in den letzten Zügen ist. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine diskutiert die evangelische Kirche kontrovers über die Legitimität von Waffengewalt und Rüstungslieferungen.

Die Friedensdenkschrift der EKD hatte den "gerechten Frieden" in Form von vier gleichrangigen Dimensionen definiert: den Schutz vor Gewalt, die Förderung der Freiheit, den Abbau von Not und die Anerkennung kultureller Verschiedenheit. Die Erfahrungen seitdem führten nun zu der These, "dass der Schutz vor Gewalt unabdingbare Voraussetzung für umfassende Friedensprozesse ist - und damit ein relatives Prä gewinnt gegenüber den anderen drei Dimensionen", erläuterte Fehrs.

Konkret bedeute dies, friedens- und sicherheitsethische Aspekte strikter als bisher zusammenzudenken, sagte die Theologin. Sie erklärte auch, der in den 1990er Jahren von vielen für erledigt gehaltene Gedanke der Abschreckung habe sich als Option "eben gerade nicht erledigt", wenn sie zur Verhinderung von Gewalt beitrage. Die Situation in Europa habe sich "empfindlich" verändert. Es werde bewusst, dass es nicht nur Waffenarsenale gebe, "sondern dass wir sie womöglich auch einsetzen müssen", sagte Fehrs.

Die oberste Repräsentantin der deutschen Protestantinnen und Protestanten forderte zudem in den verteidigungspolitischen Debatten mehr Differenzierung und Respekt gegenüber anderen Meinungen. Es liege ihr daran, die Vielschichtigkeit im Blick zu haben: "Eben nicht hier die vermeintlich naiven Pazifisten und dort die angeblich waffenliebenden Kriegstreiber", sagte sie. Benötigt werde "ethisches Feinjustieren, damit politisch Verantwortliche in Auseinandersetzung damit Handlungsoptionen entwickeln können".

Der traditionelle Empfang findet jedes Jahr rund um den Johannistag (24. Juni) in Berlin statt. Ausgerichtet wird er von der EKD-Bevollmächtigten in Berlin, Anne Gidion. Unter den Gästen waren unter anderem Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD) und der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Thomas Rachel (CDU). Erwartet wurden auch religionspolitische Sprecher der Fraktionen, darunter der am Dienstagabend für das Thema neu benannte Beauftragte der SPD im Bundestag, der frühere Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.