Der Chef des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini, warnt eindringlich vor einem möglichen Zusammenbruch der Organisation. "Die finanzielle Lage ist äußerst kritisch", sagte er am Dienstag in Berlin. Ohne zusätzliche Unterstützung drohten drastische Einschnitte bei der Versorgung palästinensischer Flüchtlinge im Nahen Osten.
Lazzarini berichtete, dass er vor zwei Wochen kurz vor der Entlassung Tausender Mitarbeiter in der gesamten Region gestanden habe, weil die Finanzierung fehlte. Nur vorgezogene Zahlungen einzelner Geber hätten das Hilfswerk kurzfristig gerettet. Der finanzielle Spielraum reiche nun noch für zwei Monate. Ab September gebe es keinerlei Planungssicherheit mehr. Das Defizit bis Jahresende liege bei rund 200 Millionen US-Dollar. Besonders schwer wiege, dass die USA als einst größter Geldgeber ihre Zahlungen vollständig eingestellt hätten.
Der UNRWA-Chef forderte Deutschland auf, weiter politische und finanzielle Unterstützung für das Hilfswerk zu leisten. Das sende zugleich ein Signal an die Palästinenser, dass Deutschland ihnen nicht den Rücken gekehrt habe. Er warnte vor schwerwiegenden Folgen, sollte das Hilfswerk als "stabilisierendes Element in einer zunehmend instabilen Region" wegfallen. Das könne möglicherweise auch Unruhen in den Nachbarländern auslösen. Das Hilfswerk habe ein "enormes Potenzial", um eine gerechte und dauerhafte Lösung für die Palästinenser zu erreichen.
Trotz der "dystopischen Realität" in Gaza führe UNRWA weiterhin täglich 15.000 Gesundheitsberatungen durch, betreibe Notunterkünfte und sorge für sauberes Trinkwasser sowie Abfallentsorgung. Mit scharfen Worten kritisierte Lazzarini den neuen Hilfsmechanismus "Humanitarian Gaza Foundation", der parallel zur UN-Hilfe aufgebaut und von den USA und Israel betrieben wird. Er nannte ihn eine "Todesfalle", die mehr Menschenleben koste, als sie rette.
Nach Angaben des Sprechers des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Thameen Al-Kheetan, schoss das israelische Militär seit Beginn der Stiftungsarbeit Ende Mai mehrfach auf Palästinenserinnen und Palästinenser, die Hilfsverteilungspunkte erreichen wollten. Berichten zufolge seien dabei über 410 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden. Zudem sollen mindestens 93 weitere Menschen von der israelischen Armee getötet worden sein, als sie versuchten, die wenigen Hilfskonvois der Vereinten Nationen und anderer humanitärer Organisationen zu erreichen, berichtete Al-Kheetan am Dienstag in Genf.
Lazzarini forderte, dass die humanitären Grundsätze im Gaza-Streifen wiederhergestellt werden müssten. Hilfslieferungen anderer internationaler Organisationen wie Nahrungsmittel stünden zwar bereit - genug für 10.000 Lastwagenladungen -, würden aber nicht in den Gazastreifen gelassen. Seit Mitte Mai, nach mehr als zwei Monaten kompletter Blockade, lässt Israel derzeit nur wenige Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen.