Wie Marleen aus der Einsamkeit fand

Junge Frau am Fenster
A. C./ Unsplash
Gerade junge Menschen fühlen sich heute so einsam wie noch nie zuvor.
Jung & einsam
Wie Marleen aus der Einsamkeit fand
Ob in der Schule, im Sportverein oder auf Social Media – Wer jung ist, ist ständig mit anderen im Kontakt. Doch gerade junge Menschen fühlen sich heute so einsam wie noch nie. Psychische Belastungen können Auslöser sein – oder die Einsamkeit noch verstärken. Marleen hat diese Erfahrung gemacht. Was ihr geholfen hat: Musik, neue Kontakte und ihr Glaube.

Dass einsam sein nicht allein sein bedeutet, erlebt Marleen im Alter von 14 Jahren zum ersten Mal. Die Schülerin sitzt in der Mittagspause inmitten ihrer Freundinnen, sie quatschen und lachen miteinander. Doch Marleen fühlt sich in diesem Moment weit weg, als wäre eine unsichtbare Wand zwischen ihr und ihren Freundinnen. Zu dieser Zeit geht es Marleen nicht gut, sie hat mit psychischen Problemen zu kämpfen und wünscht sich, dass ihre Freundinnen ihr zuhören und sie unterstützen. Doch als ihre damaligen Freundinnen davon erfahren, werfen sie ihr vor, sie wolle nur Aufmerksamkeit.

Das Gefühl der Einsamkeit kennen immer mehr Jugendliche in Deutschland. Bettina Schilling ist Psychologin im Zentrum Seelsorge und Beratung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und berät junge Menschen, die sich einsam fühlen. In ihrer Beratung sieht sie: Seit der Corona-Pandemie fehlen immer mehr jungen Menschen wirkliche Freundinnen und Freunde. Laut einer Studie aus dem Jahr 2023 mit Schüler:innen unter Leitung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fühlt sich rund jeder sechste Jugendliche "häufig" oder "immer" einsam. Junge Menschen haben sich damit in den vergangenen Jahren zu einer neuen, besonders gefährdeten Altersgruppe entwickelt. 

Marleen telefoniert während der Lockdowns noch viel mit einer Freundin. Zeit alleine genießt sie, spielt Klarinette oder hört Taylor Swift und zieht daraus Energie. Erst mit dem Beginn einer neuen psychischen Belastung ändert sich dies. Im Gegensatz zu vorher ist es für die Schülerin plötzlich anstrengend, alleine in ihrem Zimmer zu sitzen und sie beginnt, sich nach ihren Freundinnen zu sehnen. Noch heute erinnert sie sich mit Enttäuschung an das Verhalten ihrer früheren Freundinnen. Sie wenden sich damals ab und Marleen verbringt immer mehr Zeit in den Sozialen Medien. Auf der Suche nach Halt beginnt sie, online mit Fremden zu chatten, doch die vermeintlichen Freunde melden sich nach ein paar Nachrichten nicht mehr. "Zur echten sozialen Erfahrung gehören Gesten und Mimik, die verloren gehen, wenn man sich nur digital trifft. Das macht Beziehungen übers Internet weniger belastbar", so Bettina Schilling.

Wer psychisch krank ist, ist häufiger einsam

Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen sind oft verunsichert im menschlichen Miteinander und rutschen so in die Einsamkeit. Sie ziehen sich zurück und verpassen immer mehr Austausch im Alltag. Psychische Krankheiten können wie ein Katalysator von Einsamkeit wirken. Dabei sind die Alltagserfahrungen besonders wichtig, denn es sind Momente des Lernens. Im Miteinander setzen wir soziale Fähigkeiten voraus, die wir in früheren Interaktionen erlernt haben. Fehlen diese Erfahrungen, fällt es plötzlich schwer, mit anderen Menschen umzugehen.

Bettina Schilling spricht davon, dass Einsamkeit sich multipliziert - aus anfänglichen Momenten des Alleinseins kann so eine chronische Einsamkeit werden. Mit ihren Mitarbeiter:innen begleitet sie regelmäßig Menschen mit psychischen Problemen, die zusätzlich vereinsamen. Depressive Menschen beispielsweise, die keinen Antrieb spüren, das Haus zu verlassen und so Kontakt zu Freundinnen und Freunden verlieren. Dabei ist, laut der Psychologin, der erste Schritt aus der Einsamkeit, überhaupt zu erkennen, dass man sich einsam fühlt.  

Raus aus der Einsamkeit, mit Musik und Gott

Für Maureen beginnt dieser Weg an einem Nachmittag, an dem sie sich besonders allein fühlt. Die 14-Jährige wendet sich in ihrer Verzweiflung an Gott: "Ich habe einfach alles erzählt, was in meinem Kopf vorging, das war sehr durcheinander. Aber es war gut und ich habe mich danach sehr erleichtert gefühlt." Ihr Glaube festigt sich in dieser Zeit und im Konfirmandenunterricht lernt sie andere Jugendliche kennen. Sie beginnt in der Gemeinde im Chor zu singen und spielt im Orchester Klarinette.

Neben Gott ist die Musik für sie in dieser Zeit Türöffner und Halt. "Immer wenn ich Musik mache, dann fühle ich mich erfüllt und als würde wieder etwas zu mir gehören, was vorher nicht da war." Einmal singt sie nach dem Jugendgottesdienst gemeinsam mit anderen jungen Menschen und lernt dabei eine andere Jugendliche kennen. Sie kommen ins Gespräch und freunden sich an. Auch wenn es ihr weiterhin manchmal schlecht geht, hat sie von diesem Moment an wieder Menschen, bei denen sie sich aufgehoben fühlt.

Der erste Schritt ist oft der schwerste

Der erste Schritt, neue Kontakte zu knüpfen, ist oft besonders schwer, weiß Bettina Schilling von ihren Klient:innen. In Sportvereinen, der Musikschule oder auch der Gemeinde kann zwar jede:r etwas Passendes für sich finden, aber hinausgehen und die Menschen ansprechen, kann sich wie eine unüberwindbare Hürde anfühlen. Da kann es helfen, vielleicht erst mit Unterstützung durch Bekannte zu den Veranstaltungen zu gehen.

Bettina Schilling ist Psychologin im Zentrum Seelsorge und Beratung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Die Psychologin rät einsamen Menschen, zu versuchen, sich anderen anzuvertrauen und dabei mit einer nahestehenden Person anzufangen. Denn mit jedem Gespräch fällt es leichter und die Chancen, durch den Kontakt Unterstützung zu erhalten, werden größer. Gerade Gemeinden bieten dabei Angebote, die keine Fähigkeiten voraussetzen, anders als viele Vereine. Das kann die Hürde senken, um wieder mit Menschen in Kontakt zu treten.

Für Menschen, die eine starke chronische Einsamkeit empfinden, sei es wichtig, Hilfe anzunehmen. Schilling verweist auf die psychologischen Beratungsstellen der evangelischen Kirchen vor Ort und Onlineangebote wie den Krisenchat oder die Jugendberatung der bke.  

Marleen hat Hilfe angenommen und spricht heute gelassen über ihre Einsamkeit. Sie ist froh über ihre neuen Freundinnen und Freunde, trifft sich regelmäßig mit der evangelischen Jugend in ihrer Heimat und macht Musik in der Gemeinde. "Es hat mir geholfen, auch in der Schule neue Leute zu finden, die ich vorher gar nicht so auf dem Schirm hatte, aber das sind jetzt die richtigen Menschen für mich." 

Weitere Infos, Erfahrungsberichte und Tipps zu Einsamkeit hat die evangelische Kirche Hessen Nassau auf einer Themenseite gesammelt.

 

Wer krank ist, ist häufiger einsam
Die Hälfte der Menschen mit Depressionen, einer der häufigsten psychischen Erkrankungen, fühlt sich einsam. Denn wem der Antrieb fehlt, um Dinge zu unternehmen, zieht sich sozial zurück. Menschen mit psychischen Krankheiten sind daher oft sozial verunsichert und tun sich schwer, sich wieder mit anderen in Kontakt zu treten. Um der Einsamkeit zu entkommen, hilft es, sich Unterstützung durch nahestehende Personen zu suchen und bei chronischer Einsamkeit professionelle Hilfe anzunehmen, zum Beispiel in den psychologischen Beratungsstellen der evangelischen Kirche und der TelefonSeelsorge Deutschland rund um die Uhr unter 0800-111 0 111.

Onlinekontakte können Reallife nicht ersetzen
Wer sich einsam fühlt, sucht vielleicht Kontakte übers Internet. Das kann helfen, doch reale Gespräche und Treffen mit Freund*innen ersetzt das nicht. Denn übers Internet geht viel verloren, zum Beispiel Gesten oder die Tonlage bei Aussagen. Bettina Schilling sagt daher: Beziehungen übers Internet fühlen sich weniger belastbar an und sind nicht so sicher. Auch wenn Chatten und Telefonieren auch helfen können, rät die Psychologin daher dazu, auch Begegnungen außerhalb des Internets zu suchen und die Handynutzung zu begrenzen. Um zu überprüfen, ob deine Handynutzung gesund ist, gibt es einen Selbsttest und Tipps bei ins-netz-gehen.de.