TV-Tipp: "Familie is nich"

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2. Juni, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Familie is nich"
Eine verbitterte Witwe, ein unerwarteter Besuch – und eine kleine Enkelin, die alles verändert. "Familie is nich" erzählt ein tiefgründiges Drama über zerbrochene Beziehungen, Widerstände und die Kraft, neu zusammenzufinden. Meret Becker und Luise Landau spielen dabei berührend authentisch.

Verbitterte Witwe schöpft dank ihrer Enkelin neuen Lebensmut: Auf den ersten Blick gehört "Familie is nich" in die Kategorie jener beliebten Freitagskomödien im "Ersten", in denen sich Menschen, meist männlich, unversehens um die Söhne oder Töchter von Angehörigen kümmern müssen. Mitunter handelt es sich auch um Nachwuchs, für den die Betroffenen bislang keine Zeit oder von dem sie nicht mal Kenntnis hatten, weshalb sich die Genre-Bezeichnung "Plötzlich Papa" geradezu aufdrängt. Im Leben der unfreiwilligen Väter oder Großväter ist ohnehin kein Platz für Kinder, die sich zudem gern durch eine gewisse Renitenz auszeichnen. Andrea Depperts Drehbuch unterscheidet sich von den ARD-Vorbildern also schon mal durch die Wahl der Hauptfigur.

Außerdem orientiert sich das Handlungsmuster zwar am erwartbaren Prozess der Annäherung zwischen zwei Widerspenstigen, aber nicht nur hintergründig ist "Familie is nich" vor allem ein Drama.

Schon der Prolog ist bloß scheinbar witzig, als der Postbote nicht dazu kommt, ein Päckchen abzuliefern: Die vermeintliche Adressatin hat die Annahme verweigert und ihre Haltung mit einem Warnschuss aus der Schrotflinte verdeutlicht. Anne, von Meret Becker betont ungeschminkt und als personifizierte Misanthropie verkörpert, lebt seit vielen Jahren allein auf einem etwas verwahrlost wirkenden Bauernhof irgendwo in Brandenburg. Das Päckchen war für ihre Tochter Julia, zu der sie schon ewig keinen Kontakt mehr hat. Die düstere Erklärung für das Zerwürfnis zwischen den Frauen reicht der Film später nach.

Zunächst führt Deppert Annes Gegenentwurf ein: Julia (Emma Bading) ist eine lebenslustige Mittzwanzigerin, die gern Geld ausgibt, das sie nicht hat. Als ihr das Jobcenter wegen offenkundiger Arbeitsverweigerung die Bezüge kürzt und sie die Einkommensdelle auf kriminelle Weise ausgleichen will, kommt sie ins Gefängnis und Anne in den aus ihrer Sicht fragwürdigen Genuss eines Statuswechsels: Unangekündigt steht eines Tages Julias beste Freundin Mariam (Banafshe Hourmazdi) mitsamt der achtjährigen Tilda vor der Tür; Anne wusste nicht mal, dass sie Großmutter ist. Bislang hat sich Mariam um das Kind gekümmert, aber die Belastung wächst ihr über den Kopf. Daher bittet sie Anne um Hilfe, die sich allerdings wenig überraschend genauso verhält wie gegenüber dem Postboten; immerhin ohne Warnschuss. 

Was nun folgt, ist von Becker und der jungen Luise Landau derart glaubwürdig gespielt, dass "Familie is nich" – diese Botschaft vermittelt Anne dem Kind quasi als erstes – schon allein wegen dieser Szenen sehenswert ist. Wie sich die verhärmte Frau gegen ihren Willen öffnet und durch die Anwesenheit des Mädchens aufblüht, ist auch deshalb so berührend, weil Tilda keineswegs dem Klischee des üblichen Filmkindsonnenscheins entspricht. Sinnbildlich für die wachsende Zuneigung ist das halbseitig verwaiste Ehebett: In Ermangelung einer Schlafplatzalternative lässt Anne das Kind bei sich schlafen, später darf Tilda sogar ankuscheln; als schließlich ihr eigenes Bett bekommt, holt die nunmehr als "Oma" akzeptierte Großmutter sie zurück ins Schlafzimmer.

Natürlich lebt die von Nana Neul betont ruhig umgesetzte Geschichte auch von der Neugier: Warum hat der Tod von Annes Mann Mutter und Tochter derart entzweit? Und werden sie dennoch in der Lage sein, über ihren Schatten zu springen? Julia jedenfalls nicht: Sie würde Tilda eher einer Pflegefamilie als ihrer Mutter überlassen. "Stolz und störrisch wie ein Esel" sei Anne, erklärt Holger (Florian Lukas) dem Mädchen; und Julia nicht minder. Zumindest die Sturheit hat Tilda ebenfalls geerbt; das gibt den Szenen von Oma und Enkelin eine zusätzliche Würze. Holger ist der Bürgermeister des Dorfes und Anne seit Jugendjahren mehr als nur zugetan, weshalb sie selbst dann mit einer Ermahnung davonkommt, als sie auf ihre Weise dafür sorgt, dass die bereits vor Morgengrauen krakeelenden Kampfhähne des Nachbarn nie wieder jemanden um den Schlaf bringen werden.

Makabre Momente dieser Art bietet Depperts Drehbuch des Öfteren, doch Neul bleibt ihrer Linie treu. Kühn reduziert der Film stellenweise ganze Ereignisse auf einen Schnitt, doch die Inszenierung zielt nicht auf Pointen, sondern konzentriert sich auf die drei Hauptdarstellerinnen. Dass Anne im Dorf geradezu verfemt ist, beschert der Handlung ein weiteres dramatisches Element. Gleichzeitig sorgt die sorgfältige Bildgestaltung (Bernhard Keller) gemeinsam mit der leicht rockigen guten Musik (Can Erdogan, Beat Solèr) dafür, dass die Dramatik allem Konfliktpotenzial zum Trotz nie überhand nimmt. 
 

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