Frieden zwischen Juden und Muslimen möglich

Die Skulptur ORIENT-OKZIDENT zeigt Symbole dreier Religionen
epd-bild/Gustavo Alabiso
Aus gemeinsamen abrahamitischen Wurzeln sind Judentum, Christentum und Islam erwachsen.
Islamwissenschaftler Ourghi
Frieden zwischen Juden und Muslimen möglich
Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Abdel-Hakim Ourghi (Freiburg) drastisch gezeigt, wozu Hass gegen Juden und Israel führen kann. Doch wer den Hass bekämpfen will, müsse dessen ideologische Wurzeln bekämpfen, sagt der akademische Mitarbeiter für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Vor kurzem fand der Eurovision Song Contest in Basel statt. Mit dabei: Die israelische Sängerin Yuval Raphael, die den Hamas-Terror am 7. Oktober 2023 nur knapp überlebt hat. Sie singt von Liebe, doch ihr schlug von Teilen des Publikums in Basel und auch im Vorfeld des Wettbewerbs Hass entgegen. Wie ordnen Sie diese Reaktionen ein?

Abdel-Hakim Ourghi: Das ist unglaublich beschämend: Eine Überlebende des Hamas-Massakers, die sich stundenlang unter den Leichen versteckte, wird zur Zielscheibe des antiisraelischen Antisemitismus. Und wieder kein Aufschrei aus der Kunstszene, der Linken und der Feministinnen.

In Ihrem neuen Buch "Die Liebe zum Hass", das im Claudius Verlag (München) erschienen ist, beschäftigen Sie sich intensiv mit dem 7. Oktober 2023 und seinen Folgen. Warum?

Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi

Ourghi: Für mich als Muslim ist es wichtig zu betonen, dass es sich beim 7. Oktober um islamisch-radikalen Terror handelt, nicht um legitimen Widerstand oder irgendeine Art von Befreiungskampf. Der barbarische Angriff der Hamas-Terroristen galt nicht nur den Israelis, sondern den westlichen Werten überhaupt. Grenzen verschwammen zwischen dem Hass auf die Juden und dem Hass auf die westliche Moderne.

Die Mehrheit muslimischer Intellektueller zeigt wenig Bereitschaft, sich mit dieser Thematik zu befassen, geschweige denn, sich hierzu öffentlich zu äußern. Ich möchte deshalb Aufklärungsarbeit leisten und vor allem an die Opfer und die Überlebenden des 7. Oktober denken.

In Gaza sind Zehntausende Zivilisten bereits seit dem 7. Oktober gestorben - was sagen Sie dazu? Müsste man darüber nicht ebenfalls mehr reden?

Ourghi: Jeder Krieg ist eine fundamentale Verletzung der Menschlichkeit: Menschen sterben dabei, vor allem Unschuldige. Selbst ein gerechter und defensiver Krieg ist die Hölle; manchmal aber lässt sich die Hölle nicht vermeiden, schon gar nicht, wenn sie von anderen losgetreten wurde.

"Kein Krieg im Nahen Osten hat mehr gebracht als weitere Kriege."

Dem israelischen Militär ist es gelungen, die Infrastruktur der Hamas zum größten Teil zu zerstören, allerdings kann die Ideologie der Hamas nicht mit Gewalt besiegt werden, im Gegenteil: Sie produziert eine neue Generation von Hamas-Kämpfern. Deshalb bin ich skeptisch, ob ein Krieg eine Lösung und am Ende Frieden bringen wird. Kein Krieg im Nahen Osten hat mehr gebracht als weitere Kriege.

Sie bleiben in Ihrem Buch nicht nur bei dem Hass der Hamas-Terroristen, sondern gehen einen Schritt weiter und erzählen von sich, wie Sie als Jugendlicher in Algerien mit Judenhass aufgewachsen sind. Woher kommt dieser Hass?

Ourghi: Obwohl die Machtinhaber in Algerien Demonstrationen gegen Israel nach dem 7. Oktober 2023 verboten haben, werden Kinder und junge Menschen in den Moscheen, den Schulen und Hochschulen bis heute mit dem Hass gegen Juden und gegen Israel erzogen.

Nicht alle Muslime sind Antisemiten. Es gibt auch eine schweigende Stimme unter den Muslimen, die an den Frieden zwischen Juden und Muslimen glaubt. Auch den Islam pauschal als antisemitisch zu bezeichnen, ist falsch und führt in die Irre. Unwahr ist aber auch die Behauptung, Islam und Judenfeindschaft hätten nichts miteinander zu tun. Denn zur Entstehung von judenfeindlichen Mythen und Vorurteilen haben bestimmte Koranverse und Überlieferungen über den Umgang des Propheten mit Juden erheblich beigetragen, auf die sich zum Beispiel auch die Hamas bis heute berufen kann. Die Gründung des Staates Israel 1948 hat den islamischen Judenhass schlicht intensiviert. Deshalb ist es an der Zeit, dass Muslime und vor allem muslimische Theologen sich mehr mit dem Antijudaismus und der Judenfeindschaft in ihrer Geschichte beschäftigen und sich auch mit dem 7. Oktober kritisch auseinandersetzen.

Auch in Deutschland gibt es Judenhass, der sich leider in allen Teilen der Gesellschaft findet. Was kann man aus Ihrer Sicht gegen Antisemitismus speziell unter Muslimen tun?

Ourghi: Die Geschichte des Holocaust ist nicht nur eine deutsche Angelegenheit. Muslimische Schülerinnen und Schüler können in die Erinnerungskultur einbezogen werden. Mithilfe der Erinnerungspädagogik kann der islamische Antisemitismus bekämpft werden. Auch der interreligiöse Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen ist dabei nicht zu unterschätzen. Als aufgeklärter und liberaler Muslim bin ich fest davon überzeugt, dass ein friedliches Miteinander von Juden und Muslimen möglich ist. Die Voraussetzung dafür ist, dass Muslime und Juden sich im Alltag begegnen, sich kennenlernen und miteinander sprechen.

"Wer miteinander an einem Tisch zusammensitzt, miteinander lacht, sich gemeinsam freut und gemeinsam trauert, baut am Frieden mit."

Die Mehrheit der Muslime lehnt Juden ab, ohne jemals persönlich mit ihnen in Kontakt gekommen zu sein. Ähnliche Haltungen nehmen auch manche Juden ein. Deswegen ist es von essenzieller Bedeutung, die Macht der Sprachlosigkeit zu brechen. Wer miteinander an einem Tisch zusammensitzt, miteinander lacht, sich gemeinsam freut und gemeinsam trauert, baut am Frieden mit. Sprache kann nicht nur verletzen, sie kann auch heilen. 

 

Buchtitel:

Abdel-Hakim Ourghi: "Die Liebe zum Hass. Israel, 7. Oktober 2023", Claudius Verlag München, 224 Seiten, 24 Euro.