TV-Tipp: "Der Tote in der Schlucht"

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26. Mai, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Tote in der Schlucht"
Neben der Liebe ist die Rache wohl eins der stärksten Gefühle, zu denen der Mensch fähig ist: Liebe vergeht, Rache besteht. Ist der Fall in diesem zweiten Tiroler Landkrimi also schnell geklärt?

Im Zweifel besteht der Rachewunsch ein Leben lang, weil die Gelüste in den Fantasievorstellungen schlafloser Nächte ständig neue Nahrung bekommen. Deshalb könnten die Ermittlungen in diesem zweiten Tiroler "Landkrimi" mit Patricia Aulitzky auch recht bald abgeschlossen sein, denn eigentlich ist klar, wer das Titelopfer des Films "Der Tote in der Schlucht" auf dem Gewissen hat:

Nach sieben Jahren wird Andy Colussi (Bernhard Schir) aus der Haft entlassen. Eine Rückblende offenbart, warum er im Gefängnis war: Zwei Männer überfallen einen Geldtransporter. Der Fahrer, Josef Radl, hatte den Wagen unter einem Vorwand gestoppt. Sein Kollege erkennt die Verbrecher trotz ihrer Masken, die vier Männer stammen alle aus demselben Dorf. Der eine Ganove ist Colussi, der andere erschießt den Beifahrer. Weil ein Mord nicht vorgesehen war, hat sich Radl der Polizei gestellt und die Komplizen verraten. Als er nun tot in einer Schlucht gefunden wird, erst durch einen Schuss schwer verletzt und dann in die Tiefe gestürzt, drängt sich Colussi als Verdächtiger geradezu auf.

Er gibt sich jedoch geläutert und versichert überzeugend, ein neues Leben beginnen zu wollen. Außerdem hat er das beste Alibi, das ein Verbrecher haben kann: Die Beute aus dem damaligen Überfall, immerhin drei Millionen Euro, ist nie wieder aufgetaucht, deshalb lässt ihn der Innsbrucker Kripochef Schupp (Harald Windisch) seit seiner Entlassung rund um die Uhr überwachen. 

 

Schon allein dieser erzählerische Ansatz ist interessant, aber das Drehbuch von Kamerafrau Eva Testor, die auch den ersten Krimi mit Aulitzky geschrieben hat ("Das Mädchen aus dem Bergsee", 2021 im ZDF), zieht noch viel weitere Kreise: Wie bereits bei ihrer "Landkrimi"-Premiere ist Lisa Kuen erneut persönlich betroffen, denn Colussi hat sich im Knast mit ihrem wegen Kindesmissbrauchs und Mordes verurteilten Vater angefreundet. Lisa hatte ihren Erzeuger im letzten Film eigenhändig verhaftet. Im Gefängnis hat er sich schließlich umgebracht; Colussi hat seinen Abschiedsbrief dabei. In der bewegendsten Szene des Films bittet er die Polizistin um einen Tanz; es wird sein letzter sein. Sein Vermächtnis ist ein Vorwurf, der die Ermittlungen in eine völlig neue Richtung führt: Er beteuert, das Versteck der Beute nach seiner Verhaftung preisgegeben zu haben. Die Vernehmung hat damals Schupp durchgeführt. Der Oberst steckte zu jenem Zeitpunkt mitten in der Scheidung und war hochverschuldet, sein kurz drauf pensionierter Partner hat sich das Leben genommen.

Regie führte wie schon bei "Das Mädchen aus dem Bergsee" Mirjam Unger, zu deren besten Filmen die Weihnachtskomödien "Alle Nadeln an der Tanne" (2020, ZDF) und "Schrille Nacht" (2022, ORF) gehören. Zuletzt hat die Österreicherin "Deine Mutter" (2024) gedreht; in dem sehenswerten "Tatort" ermittelte das Duo aus Wien im Rappermilieu. Der Kontrast zum "Landkrimi" könnte kaum größer sein, und das nicht nur aus landschaftlichen Gründen: Die Menschen in dem von Traditionen, Brauchtum und Katholizismus geprägten Dorf sind eine verschworene Gemeinschaft, alle Männer sind Mitglied im Schützenverein.

Kurz fragen sich Lisa und ihr Kollege Alex (Dominik Raneburger), ob Radl womöglich ein Opfer seiner sexuellen Umtriebigkeit geworden ist. Ein eifersüchtiger Ehemann, der außerdem seine Frau schlägt, drängt sich als Verdächtiger förmlich auf. Als er auch gegenüber Lisa handgreiflich wird, nutzt sie die Gelegenheit, um ihm eine Abreibung zu verpassen. 

Diverse weitere Nebenfiguren sorgen für zusätzliche Komplexität; zwischenzeitlich verliert nicht nur die Polizistin den Überblick. Gespielt ist das alles prima, Inszenierung und Bildgestaltung sind sorgfältig, und dank der Kleidung von Aulitzky, Gerti Drassl (als Radls Lebensgefährtin) und vor allem Antonia Moretti als ohnehin sehr präsente Revierkollegin Alina setzt auch das Kostümbild prägnante Akzente. Ein kleines Manko gibt es dennoch, aber das ist dem Ensemble kaum vorzuwerfen, zumal es sich um ein typisches Merkmal der stets in einer anderen Region des Landes angesiedelten "Landkrimis" handelt: Anders als in den sonstigen Koproduktionen zwischen ZDF und ORF ("Die Toten vom Bodensee", "Die Toten von Salzburg") oder in den gemeinsam mit der ARD hergestellten ORF-Krimis aus der Steiermark ist der Dialekt stellenweise sehr ausgeprägt. Wenn die Mitwirkenden dann auch noch nuscheln, sind einige Dialoge zumindest für hiesige Ohren nur schwer verständlich.