Deutsche Migrationsexperten haben an die Bundesregierung appelliert, in der Flüchtlingspolitik auf einen Kurs der Abstimmung mit anderen Ländern zurückzukehren. Deutschland konzentriere sich aktuell auf Effekte, die in Deutschland ankommen, sagte der Bonner Wissenschaftler Benjamin Etzold am Montag bei der Vorstellung des "Reports Globale Flucht 2025" in Berlin. Die menschenrechtlichen Konsequenzen der "Alleingänge" würden dabei zu wenig bedacht, kritisierte der Forscher am Bonn International Centre for Conflict Studies. Echte Lösungen könnten nur in internationaler Zusammenarbeit gelingen.
Etzold legte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zum dritten Mal den vom Forschungsnetzwerk "Flucht und Flüchtlingsforschung" erarbeiteten Report vor, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Diskussion über Flucht und Migration zu versachlichen. Etzold sagte, die deutsche Flüchtlingspolitik stehe mit ihrer "nationalen Engführung" wirklichen Lösungen im Weg. Die mangelnde internationale Verständigung führe etwa dazu, dass inzwischen viele Flüchtlinge in Lagern festgesetzt und "verwaltet" würden. Wegen mangelnder Perspektive zögen diese Flüchtlinge weiter, auch nach Deutschland.
Konkret kritisierte er auch die Ankündigung der neuen Bundesregierung, legale Zugangswege nach Deutschland über humanitäre Aufnahmeprogramme oder den Familiennachzug beenden zu wollen. Dies alles sei "kontraproduktiv", könne in der Folge sogar irregulärer Migration Vorschub leisten, die die Bundesregierung eigentlich bekämpfen will.
Die Nürnberger Migrationsforscherin Petra Bendel verwies auf die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) erlaubten Zurückweisungen Asylsuchender an den deutschen Grenzen, die sie als "Rechtsbruch" vonseiten Deutschlands bezeichnete. Sie stünden im Widerspruch zum europäischen Dublin-Abkommen, dem Schengener Grenzkodex und der EU-Rückführungsrichtlinie. "EU-Recht hat Vorrang und ist bindend", kritisierte sie. Werde das ignoriert, öffne man "Willkür Tür und Tor", sagte sie.
Der Osnabrücker Wissenschaftler Franck Düvell erinnerte an die Geschichte. Die Verständigung auf eine globale Teilung der Verantwortung für Flüchtlinge sei eine Lehre aus dem Jahr 1938, als sich die internationale Staatengemeinschaft bei einer Konferenz nicht auf eine Aufnahme der von den Nazis verfolgten Juden habe einigen können. Ein "Rollback von dieser nationalen Verantwortung" sei auch vor diesem Hintergrund "der falsche Weg", sagte er.
Der Report, der Ende Mai als Buch erscheint, widmet sich in Beiträgen verschiedener Expertinnen und Experten der Situation in Flüchtlingslagern und an den Grenzen, macht historische Exkurse zur Entstehung des Asylrechts und blickt auf die Integration von Flüchtlingen in Deutschland. Die sei besser als oft angenommen, resümieren die Wissenschaftler. Im Ländervergleich stehe Deutschland gut da, sagte Bendel. Dies gelte vor allem für die Integration männlicher Geflüchteter in den Arbeitsmarkt.
Das Forschungsnetzwerk wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. Die Wissenschaftler erhoffen sich, dass ihre Erkenntnisse in der Politik auch berücksichtigt werden. Die aktuellen Vorhaben im Koalitionsvertrag seien "wenig an Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert", sagte Etzold. Das zuständige Bundesinnenministerium kommentierte den Report am Montag nicht. Ein Sprecher kündigte aber an, man werde den Bericht lesen.
Der Report Globale Flucht 2025 erscheint am 28. Mai im Fischer Verlag.