Der mit Humphrey Bogart ("Tote schlafen fest", 1946) verfilmte Krimi war der erste Auftritt von Philip Marlowe. Abgesehen vom Alter wäre Peter Heinrich Brix (Jahrgang 1955) dank seiner stoischen Mimik ebenfalls ein geeigneter Darsteller des Privatdetektivs, den in einer späteren Neuverfilmung auch Robert Mitchum verkörpert hat ("Tote schlafen besser", 1978). Genau genommen ist der Titel von "Nord Nord Mord"-Fall Nummer 26, "Sievers und der tiefe Schlaf", nicht ganz korrekt, denn der Hauptkommissar hat keineswegs geschlafen, als in seiner unmittelbarer Nähe eine Frau gestorben ist. Richtig wach war er jedoch auch nicht, und deshalb sind die Ermittlungen etwas kompliziert.
Das Drehbuch von Regisseur Berno Kürten, der schon einige Male in beiden Funktionen für die Reihe tätig war (Koautor: Sven Nagel), kommt ohne lange Vorrede gleich zur Sache: Sievers ist von seiner Freundin zu einem Madeira-Urlaub überredet worden. Eine Hypnotiseurin soll ihm die Angst vorm Fliegen nehmen. Kaum hat die Frau den Kommissar in Trance gependelt, klingelt’s an der Tür. Kurz drauf ertönt ein Schrei, Sievers erwacht, geht in den Flur, sieht die Frau leblos am Fuß der Kellertreppe liegen und kriegt einen Stoß ins Kreuz. Dass er beim anschließenden Sturz abgesehen von einer vorübergehenden Ohnmacht und paar Prellungen mit dem Schrecken davonkommt, ist reine Glückssache.
Im Keller des Hauses findet sich eine Cannabis-Plantage, die offenkundig weit mehr als bloß einen Eigenbedarf deckt, und jetzt wird der Fall des Opfers womöglich auch ein Mordfall: Josefa Petersen wollte nach Kreta auswandern. Für den Neuanfang brauchte sie Startkapital. Ihr Eigenheim in bester Lage und mit unverbaubarem Blick aufs Watt hätte viel Geld gebracht, mit einem Makler war sie bereits im Gespräch, und weil die Marihuana-Pflanzen nicht ihr gehören, drängen sich prompt zwei Verdächtige auf. Tochter Selma (Tara Luise Fischer) und ihr Freund Sven (Anselm Bresgott) betreiben, wie es Hendricks, der Makler (Jophi Ries), reichlich abschätzig formuliert, eine "Bastelbude und eine Fahrradklitsche": Sie restauriert Möbel, er repariert Fahrräder. Das teure Leben auf Sylt lässt sich so kaum finanzieren; daher die Plantage. Die Pflanzen hätten natürlich verschwinden müssen, bevor Hendricks Interessenten durchs Haus führt, und vom Erlös des Verkaufs hätte Selma rein gar nichts.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die sympathische Tochter und ihr Freund kommen jedoch kaum für den Mord in frage. Ein weiterer Verdächtiger verschwindet ebenfalls recht rasch von der Liste: Der sogenannte Inselheiler (Kailas Mahadevan) könnte sich zwar einer unliebsamen Konkurrentin entledigt haben, hat aber dank seiner Kundschaft ein Alibi. Kommissar Hinnerk Feldmann (Oliver Wnuk) mutmaßt ohnehin, dass Josefa Petersen einfach bloß unglücklich gestürzt ist. Die Wahrnehmungsfähigkeit seines Chefs könnte beeinträchtig gewesen sein, weil die Bewusstseinsveränderung nicht rückgängig gemacht wurde.
Dabei ist Feldmann selbst deutlich mehr von der Rolle: Die gemeinsame Wohnung mit Ina Behrendsen (Julia Brendler) ist wegen Eigenbedarfs gekündigt worden, was er der Kollegin dummerweise nicht mitgeteilt hat. Nun ist sie sauer, aber nur kurz, denn Hendricks’ Frau Mette (Valerie Niehaus) ist eine gute Freundin, die sich über Ina als Mieterin sehr freuen würde.
Eine echte kriminalistische Herausforderung ist der Fall allerdings nicht gerade, doch darauf kommt es bei "Nord Nord Mord" erst in zweiter Linie an; die Reihe lebt vor allem vom Mit- und Gegeneinander der drei Hauptfiguren. Wie Sievers seinem forschen Mitarbeiter regelmäßig das Segel aus dem Wind nimmt, ist ebenso sehenswert wie die kleinen Eskapaden zwischen dem hoffnungslos verliebten Feldmann und seiner Mitbewohnerin, die partout keine "Freundschaft plus"-Beziehung eingehen will.
Schauspielerisch sind die Filme ohnehin stets ein Vergnügen. Das gilt auch für die Sorgfalt im Detail: Josefa hat einst eine Weile in Kalifornien gelebt, Selinas Vater ist angeblich ein Musiker. Feldmann erwähnt umgehend die Folk-Rock-Band-"The Mamas and the Papas", deren bekanntester Song, "California Dreamin’", prompt erklingt und später auch von der Filmmusik aufgegriffen wird. Schmankerl wie dieses lassen verschmerzen, dass Kürtens Inszenierung gänzlich frei von Überraschungen ist.