Vom löchrigen Versprechen der Kirche über die Nächstenliebe für Minderheiten wollte Quinton Ceasar in seiner Abschlusspredigt beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag sprechen. Davon blieb bei den meisten Menschen allerdings nur ein Satz: "Gott ist queer." Viel Kritik, aber auch stumpfen Hass erntete er dafür. In seiner Predigt forderte der Pfarrer aus Wiesmoor eine Kirche, die den schwachen, queeren, armen und Schwarzen Menschen eine Heimat bietet und kritisierte, dass gerade diese Minderheiten in der Kirche bisher statt uneingeschränkter Liebe Diskriminierung erfahren.
Pfarrer erhält Hasskommentare
Die Predigt sorgte im Nachhinein für große Diskussionen. Gerade Gläubige aus dem konservativ-evangelikalen Spektrum empörte die Aussage und viele beleidigten Ceasar persönlich. Wochenlang erhielt er rassistische Kommentare. Die hannoversche Landeskirche stellte sich hinter ihren Pastor und verurteilte den Hass. Aber auch kirchliche Vertreter wie Joachim Liebig, damals Präsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, kritisierten die Aussage. Liebig widersprach der Aussage "Gott ist queer" und bezeichnete sie als einschränkend.
Für Ceasar kam es damals überraschend, wie stark seine Predigt polarisierte. Die Presse urteilte, dass wohl selten eine Predigt auf dem Kirchentag so viel Aufmerksamkeit bekommen hatte. Ceasar sagt heute, das sei nicht sein Ziel gewesen. Eher habe er die Verantwortung gespürt, Kritik klar zu äußern. Die Predigt hatte er mit verschiedenen Betroffenen von Diskriminierung ausgearbeitet und sein Gefühl in der Predigt ausgedrückt. Das Gefühl, dass er als Schwarzer Pfarrer der Liebe nicht uneingeschränkt vertrauen könne und Hürden erlebe. Dass, auch in der Kirche, Minderheiten ausgegrenzt würden und nicht alle immer an ihr teilhaben können, wie es die Nächstenliebe verspricht.
"Es war für mich keine Option, mich zurückzuziehen."
"Leider Gottes hat sich in dem Hass einiges bestätigt, von dem, was ich gesagt habe", sagt Ceasar über die wütenden Reaktionen. Angesichts des Hasses aufzuhören und sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, sei für ihn aber keine Option gewesen. In der Zeit habe er sich mehr um sich selbst gekümmert und in seiner Community Kraft getankt. Geholfen habe, sich auf die positiven Reaktionen zu fokussieren: "Ich habe versucht, die Hoffnung zu hamstern in diesem Moment."
Für Ceasar ist klar, dass sein Glaube ihn auffordert, gegen Ungerechtigkeiten wie Rassismus oder andere Formen der Diskriminierung aktiv zu werden. Es sei seine Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen und ebenso gegenüber mutigen Menschen der Geschichte. Vorbildern, wie Martin Luther King Jr., die Gleichberechtigung erkämpft haben, auch indem sie den Finger in die Wunde legten.
"Ich stehe nur in einer ganz langen Schlange von Menschen, die auf verschiedene Arten für mehr Gerechtigkeit in unserer Kirche, in unserer Gesellschaft generell gekämpft haben."
Heute ist Ceasar sich sicher: Er würde wieder "Gott ist queer" in seiner Predigt sagen. Denn seine Botschaft baut auf seinem starkem Gefühl, dass gerade die Schwachen auch in der Kirche Diskriminierung erleben. Diesen Vertrauensbruch wollte er klar benennen. In seinem Verständnis sollte sich Kirche gerade für Randgruppen starkmachen und jede Form der Ungerechtigkeit bekämpfen. Er fordert, dass die europäische Theologie ihren Blick ausweitet auf die Theologien aus Afrika oder Südamerika, wie beispielsweise die Befreiungstheologie oder die Idee von Ubuntu. Ubuntu stammt aus der Sprache der Zulu und besagt heruntergebrochen, dass sich die Identität des Einzelnen aus der Gemeinschaft heraus bildet. Der südafrikanische Theologe Desmond Tutu hat diese Idee auf die eucharistische Gemeinschaft übertragen. Caesar versucht diese theologischen Ansätze in seine Arbeit in der Gemeinde in Ostfriesland einzubringen und so die Ausgegrenzten in der Kirche zu stärken.
Was seit "Gott ist queer" passiert ist
Seit der Predigt auf dem Kirchentag 2023 wurde trotz all der Hasskommentare auch konstruktiv debattiert. Laut Quinton Ceasar waren es vor allem junge Menschen, die sich offen für die Kritik aus seiner Predigt gezeigt haben. Hier hätte eine Reflexion über eigene Privilegien stattgefunden, und es sei Bewusstsein entstanden für die Perspektiven der Menschen, die unterdrückt werden. Ceasar kritisiert aber, dass weiterhin einige Randgruppen in der Kirche nur eingeschränkt Liebe erfahren: "Ich glaube, strukturell ist es in der Kirche nicht überall angekommen. Das habe ich auch nicht erwartet."
Ceasar sieht dennoch einen Wandel, der in den vergangenen zwei Jahren stattgefunden hat. Ein wichtiger Prozess fände bei den Betroffenen selbst statt, erzählt der Pfarrer. Schwarze, arme oder queere Personen müssten erstmal erkennen, welche Räume sie vielleicht brauchen und bisher in der Kirche nicht fänden. Mittlerweile gibt es Initiativen, die Orte für Betroffene schaffen oder Gesprächsrunden zu feministischer Theologie anbieten. Auch in Ceasars Gemeinde in Wiesmoor trifft sich eine Gruppe aus Frauen und nicht männlichen Personen regelmäßig, um in geschützter Atmosphäre über eigene Themen zu sprechen. Ihm gibt das Hoffnung, dass seine Kirche auch für diese Menschen da ist.
"Hoffnung ist etwas, das ganz zaghaft, aber sichtbar von unten wächst."
In einem ist sich Ceasar heute sicher: Die Kirche und die Bibel halten eine starke Geschichte für alle Menschen bereit. Es ist eine Botschaft der ehrlichen Liebe für Alle. Diese Botschaft bleibt relevant. Das sei nicht einengend, sondern befreiend, so Ceasar. "Wir haben eine Botschaft, die Menschen so annimmt, wie sie sind und die alles dafür tut, dass sie einfach so sein können, wie Gott sie erschaffen hat." Er will seine Stimme nutzen, um diese gute Botschaft zu verbreiten.
Im Yeet-Podcast mit Lilith Becker und Claudius Grigat live vom Kirchentag führt Ceasar seine Botschaft aus. Dabei verrät der Pfarrer auch, warum er Dialogräume in unserer Gesellschaft für so wichtig hält und was er meint, wenn er fordert "Taking up space, aber nicht wie Katy Perry." Während er auf der Bühne spricht, wird ein Satz aus Caesars Predigt auf Stickern im Publikum verteilt. Nicht "Gott ist queer", sondern "Kleb dich an die Liebe" steht auf glitzernden Herzen.
Der Yeet-Podcast erscheint am 13. Mai auch bei evangelisch.de.