Los geht es in Hannover auf dem Roten Sofa. evangelisch.de ist an drei Tagen live dabei. Durch das gesamte Programm führt der Chefredakteur des Medienhauses Stuttgart, Tobias Glawion.
Hamideh Mohagheghi: Verschiedensein ist wunderbar
Ein Sprung in eine andere Religion steht jetzt auf dem Roten Sofa in Hannover an. Platz nimmt Hamideh Mohagheghi. Die aus dem Iran stammende Juristin, islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin ist eine ausgewiesene Koran-Exegetin, Sprecherin des Rates der Religionen in Hannover und Mitbegründerin des islamischen Frauennetzwerkes "Huda". Geboren und aufgewachsen ist sie in Teheran. Dann der Liebe wegen nach Deutschland gezogen.
"Um miteinander leben zu können, müssen wir miteinander reden können."
Ungefähr 15 mal hat sie schon an einem Kirchentag teilgenommen und ist so erzählt sie Interviewer gerne wieder dabei. "Es ist meine Herzenssache interreligiös zu arbeiten. Ich brenne dafür und möchte die Flamme weitergeben." Immer wieder habe sie sich vor ihrem Studium gefragt: Warum ist der Islam so, warum gibt es soviel Gewalt. Das Wissen über den eigenen Glauben, fundiert belegen zu können, sei Antrieb gewesen Theologie zu studieren. Der Interreligiöse Austausch sei bedeutend, denn: "Um miteinander leben zu können, müssen wir miteinander reden können."
In Hannover bietet sie vor allem für Schüler:innen Kurse oder Workshops an, in denen interreligiöse Themen erörtert werden. Kinder und Jugendliche sollen ihrer Meinung nach früh erfahren, dass "wir alle unterschiedlich sind, aber das ist wunderbar!". Respekt und Interesse sind ein gutes Fundament und "wo man sich nicht versteht, dann kann man das einfach mal so stehen lassen." Man müsse aber, wie das Motto des Kirchentages besagt, auch mutig sein und Kindern erlauben ihre Meinung zu sagen.
Was denn schwierig sei? Sie wisse natürlich heute, dass die Christen nicht an drei Götter glauben, trotz Trinität, schmunzelt sie und Interviewer Konstantin Sacher von Chrismon gesteht, dass auch ihn die vielen Namen für Allah schwierig sein. Aber Mythen, wie Jesiden glauben an den Teufel, die sollte man ausräumen. "Wir haben alle Bilder im Kopf, und die seien nicht immer richtig. Sie möchte diese im Haus der Religion gerne etwas gerade rücken."
Katja Eifler volontierte nach ihrer Studienzeit im Lokalradio im Rhein-Kreis Neuss. Anschließend arbeitete sie als Radioredakteurin. Später als Redaktionsleiterin eines Wirtschaftsmagazins am Niederrhein. Heute ist sie freischaffende Journalistin, Online-Texterin, Coach und Moderatorin. Seit April 2023 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Doch wo hört für Mohagheghi der Dialog auf? Für sie sei es die Gewalt in der Religion, vor allem im Islam. Das sei eine rote Linie. Religion sollte nicht als Macht missbraucht werden, sagte sie. Dazu zähle aber auch Ermahnungen an Kinder, dass wenn sie sich nicht benehmen würden, kämen sie in die Hölle.
Bodo Ramelow: Kirchentag ist ein guter Ort, um Haltung zu zeigen
"Meine Koffer sind gepackt. Ich freue mich auf den morgen beginnenden Kirchentag in Hannover, ein Fest des Glaubens, der Begegnung und der offenen Debatte", hatte Bodo Ramelow Mitglied und Vizepräsident des Deutschen Bundestages gestern noch auf X geschrieben. Der Abgeordnete aus Thüringen war bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 mit 36,8 Prozent Erststimmenmehrheit für seine Partei die Linke in den Bundestag gewählt worden. Er vertritt den Wahlkreis Erfurt – Weimar – Weimarer Land II. Ob er sich auch nach links setzt, auf das Rote Sofa? Ja, das kann evangelisch.de als Medienpartner vor Ort live bestätigen.
Erster Mai mal nicht auf einer Demo, das sei ungewohnt für ihn. Aber, "wenn wir hier auf dem Kirchentag über Frieden und Freiheit sprechen, dann ist dieser Kirchentag auch ein guter Ort, um etwas zu demonstrieren." Die Frage, ob man als Mensch Verantwortung in der Gesellschaft übernimmt, habe er schon in seiner Kindheit beantwortet. Ein Grund vielleicht, warum Ramelow auf dem Roten Sofa auch auf die Frage nach seiner Haltung von Gerd-Matthias Hoeffchen, von Unsere Kirche, Bielefeld antwortet. " Ich rede immer so, wie es meine Haltung verlangt, und nicht so, wie es vielleicht die Gewerkschaft oder meine Partei es will."
Mutig und beherzt, dass passt!
Das Motto mutig, stark, beherzt sei sehr passend für ihn. Er habe öfter neu anfangen müssen, beherzt und mutig. Als Jugendlicher hätte es nur die Wahl gegeben, Bäcker oder Pastor zu werden und "als Legastheniker habe er nicht wirklich eine Wahl gehabt." Also wurde er Bäcker. Dann bekam er eine Allergie und musste wieder umdenken. Aber nie wäre es sein Plan gewesen, Politiker zu werden, lacht er.
Sein Verhältnis zur Kirche unterlag immer einem Wandel. Gläubig sei er, aber "ich habe mich damals so über Gottes Bodenpersonal geärgert, dass ich ausgetreten bin." Später aber dann habe er Menschen und Gemeinden erlebt, die sich genau mit den Themen auseinandergesetzt haben, die ihm selbst am Herzen lagen. Beispielsweise der harte Umgang mit Deserteuren. "Als Gewerkschafter bin ich dann wieder in die Kirche eingetreten."
"Was mich antreibt, sind Sätze wie Schwerter zu Pflugscharen oder Werte wie Nächstenliebe."
Doch nun der Sprung zu heute. Stimmt etwas nicht mehr mit der Demokratie, wird er gefragt. "Wir haben in Deutschland lange auf der Insel der Glückseligen gelebt." Die Weltpolitik und ihre Verantwortlichen seien auf keinem guten Weg, die Welt sei "verrückt". Darum sei es wichtig, immer in den Dialog zu kommen. "Es findet eine gewisse Form von Brutalisierung in der Politik statt, es bekommt der die meiste Aufmerksamkeit, der am lautesten Schreit". Für ihn sei auch durch die Digitalisierung ein Stück der Kultur kaputtgegangen. Auch in Bezug auf Religion gäbe es Entwicklungen durch gläubige Menschen, die nicht gefallen: "Mein Jesus ist das nicht, den ihr gerade missbraucht", könne man dazu nur sagen.
Doch wird Reden funktionieren? Das hoffe er und sagt: "Was mich antreibt, sind Sätze wie Schwerter zu Pflugscharen oder Werte wie Nächstenliebe. Wir sollen alle eine Kerze anzünden und hinausgehen und laut sagen: keine Gewalt.
Kirsten Fehrs: Wir sind nicht die bessere Kirche
Sie steht als Ratsvorsitzende an der Spitze der EKD: Bischöfin Kirsten Fehrs nimmt Platz auf dem Roten Sofa, um sich den Fragen von Stephan Kosch, aus der Zeitzeichen-Redaktion in Berlin zu stellen. Erstes Thema ist der Vertrauensverlust in der Kirche aufgrund des Missbrauchsskandals. Vom ersten Tag an habe Fehrs mit der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche zu tun gehabt. Und es habe sich dabei hauptsächlich um die Täter gedreht. "Das hat mich bekümmert, es war für mich ein Riss in der Wahrnehmung der Evangelischen Kirche." Es solle sich doch eigentlich um die Betroffenen drehen, so ihr Gedanke. Aber dieser Riss habe sie angespornt: "Das darf nicht mehr passieren!"
Seit 2011 sei der Schutzraum Kirche gestört. Aber die Frage, ob evangelische oder katholische Kirche, sei nicht relevant: "Wir sind nicht die bessere Kirche. Wir haben als katholische und evangelische Kirche zusammen geschaut, was sind die Erkenntnisse daraus, was sind die spezifischen Strukturen, die es ermöglicht haben. Menschen haben an entscheidenden Stellen nicht gehandelt. Wie kann das angehen?"
"Sie könne sich empören und es sei aufgearbeitet worden. Aber was machen wir damit jetzt? Es sei wichtig Menschen wie Nany Janz dabei zu haben, die dies mit uns zusammen machen. Wir arbeiten daran sehr intensiv, dass jetzt in Gemeinde und Kirche umzusetzen und das wird auch Thema auf der Synode sein."
Ist der Mitgliederverlust denn noch umkehrbar, lautet die nächste Frage an Kirsten Fehrs: "Ich wünsche mir das sehr und wenn ich mich hier auf dem Kirchentag umschaue, sehe ich Menschen, die sich für den Glauben einsetzen, nicht alle in der Institution, aber geeint in den Werten für Gemeinschaft und Barmherzigkeit. Das ist ein stabilisierender Faktor für unsere Demokratie." Was an Kraft in den Gemeinden ist, das wüssten vielleicht zu wenig Menschen. Deshalb sei es für Fehrs klar: Die guten Nachrichten aus gelingenden Gemeinden, beispielsweise in der Flüchtlingshilfe oder in der Diakonie oder die Notfallseelsorge müssen mehr durch die Medien transportiert werden.
"Christentum ist eine öffentliche Angelegenheit!"
Aber gibt es so viel Positives, mit dem man werben kann, fragt Kosch Ja, Kirche sei mehr als nur ein Gottesdienst oder ein alter Mensch, der ein Gesangbuch schwenkt.", sagt Fehrs. Aber gäbe es denn nicht die politische Verengung in der Kirche, wie sie jüngst von Julia Klöckner kritisiert wurde? "Ich glaube es ist wichtig das Gespräch mit allen Kritikern zu suchen. Wir sind seit Beginn des Christentums, schon in den Urgemeinden raus gegangen in die Städte und Marktplätze. Christentum ist eine öffentliche Angelegenheit!" Es sei die Aufgabe in den politischen Diskurs zu gehen mit unseren Haltungen, sagte Fehrs. "Denn, wir vertreten Werte, wie die Würde des Menschen ist heilig und unantastbar."
Ein Beispiel für Sie, sei die Abschottungspolitik. Sie ist aus ihrer Sicht nicht richtig klug, dafür müsse man nur einen Blick in den Arbeitsmarkt werfen, der von Menschen mit Migrationshintergrund mitgetragen wird.
Nany Janz: Kirche ist Sehnsucht, Kampf und Ausblick
Die Evangelische Kirche Deutschlands kämpft mit einem hohem Vertrauensverlust infolge des massiven sexuellen Missbrauchs, der über Jahre in Kirchen und Gemeinden stattgefunden hat. Ein Jahr nach Veröffentlichung der ForuM-Studie ist aus Sicht der Betroffenensprecherin Nancy Janz schon eine Reihe von Veränderungen angestoßen worden, aber das reiche noch lange nicht aus. Sie selbst hat sexuellen Missbrauch durch einen Pfarrer erlebt. Auf die Bitte von Interviewer, Stephan Kosch vom Zeitzeichen Berlin, den Satz "Evangelische Kirche ist für mich…" zu beenden, antwortet sie: "Sehnsucht, Kampf und Ausblick".
"Warum macht Gott nichts, wenn er all das sieht?"
Aber was genau ist ihr widerfahren? "Ich habe sehr viel sexualisierte Gewalt schon früh in der Familie erlebt und bin gebrochen in mein Leben gestartet", erzählt Nancy Janz. Sie habe es dann aber nochmals mit Vertrauen in die Menschen versucht. Dann geschah in einem Seelsorgeverhältnis zu ihrem Jugendpfarrer über Jahre erneuter Missbrauch. "Warum macht Gott nichts, wenn er all das sieht? Das habe sie sich gefragt. "Ich konnte und wollte nicht vergeben", erzählt sie im Interview und habe sich zunächst von Kirche abgewandt. "Irgendwie sei ihr Kirche dennoch immer wieder begegnet", und so sei sie heute auf dem Kirchentag in Hannover. Ihre Motivation war es, etwas zu tun, trotz großer Angst.
Aktuell bearbeitet sie im Beteiligungsforum die Empfehlungen aus der ForuM-Studie. Aber noch wichtiger sei die Öffentlichkeit: "Auch hier auf dem roten Sofa sind wir präsent, es wird zu einem gesellschaftlich wichtigen Thema und das ist gut!", postuliert sie. Für sie ist die klassische Präventionsarbeit in den Gemeinden wichtig, die gerade Schutzkonzepte schreiben und etwas verändern wollen. "Es braucht niedrigschwellige Angebote", sagt sie auf dem Roten Sofa. Nachhaltig wirksam sei beispielsweise der Aufruf an Kindergärten und Gemeinden, eine orange Bank mit einem Aufkleber "#keinPlatzfürGewalt" aufzustellen. Auch das Betroffenennetzwerk BeNe sei ein bedeutender Schritt.
"Von mir ginge ein heilendes Licht aus"
Sie hätten daran zerbrechen können, was hat sie gerettet, fragt Stephan Kosch. Ihre Antwort: "Vielleicht eine Begegnung, die ich lange Zeit nicht verstanden habe. Wir haben auf einer Jugendfreizeit einen Workshop zum Thema sexuelle Gewalt gemacht. Eine Frau hat mich gefragt, ob sie sich dazusetzen könne. Später hat sie mir ihre Geschichte erzählt, all das, was ihr im Weltkrieg passiert ist und dann haben wir gebetet. Jahre später sind wir uns wieder begegnet und sie hat mir von ihrem Traum erzählt, dass ich später mal auf einer Bühne stehen würde und darüber spreche. Von mir ginge ein heilendes Licht aus. Das Bild habe ich mitgenommen.Das hilft mir heute meinen brüchigen Glauben zusammenzuhalten. Ich wurde gesehen."
Sie sei heute im Glauben immer noch eine Suchende, manchmal Findende, manchmal weglaufend, manchmal ganz dicht dran und manchmal ganz weit weg. Was kann die Evangelische Kirche besser machen? "Es gibt unglaublich viele Baustellen und Kirche ist vielfältig, wir sind alle Kirche. Lassen wir uns gemeinsam sorgen, dass diese Kirche sicherer wird." Wichtig sei es nun, über das Thema zu sprechen, ihrer sei ein Fall von sexualisierter Gewalt, aber es gebe Tausende.
Dennoch habe sie ein gesegnetes Leben. "Gott war eigentlich immer da, er hat mit mir gelacht und geweint. Vielleicht auch in dieser Frau, die mir dieses Bild geschenkt hat."
Kick-off mit Fußballer
Bei bestem Wetter und vor vollen Rängen ist der erste Prominente, der heute Platz nimmt, Timo Mertesacker. Er ist Vorstandsvorsitzender der Per-Mertesacker-Stiftung. Die Fragen stellt Mark Eickhorst vom Evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen-Bremen.
Timo Mertesacker ist ehemaliger Fußballspieler, sein Bruder Per sogar als ehemaliger Nationalspieler ein Star, der sich mit einem Weltmeistertitel schmücken darf. Nervt das, immer der Bruder eines Prominenten zu sein? "Nein, wir sind ganz normale Menschen und leben auch ein normales Familienleben, wir haben ein brüderliches Verhältnis auf Augenhöhe", sagt Timo Mertesacker. Und ob er was besser könne als Per? Die Frage mag er nicht wirklich beantworten, für ihn habe jeder Mensch Stärken und Schwächen. Und abseits des Promi-Spotlights zu leben, habe auch eindeutige Vorzüge.
"Erst Deutsch, dann Dribbeln - denn Sprache ist das Allerwichtigste für die Integration"
Die Stiftung setzt sich seit 2006 für die soziale Integration von Kindern in der Region Hannover ein. Dabei stehen insbesondere Kinder mit sozial schwächerer Herkunft, mit einer Lernschwäche oder mit Migrationshintergrund im Fokus. Durch Fußball, eine individuelle Lernförderung zwei Mal die Woche sowie Sprachunterricht profitieren die Kinder von einer nachhaltigen Förderung über zehn Jahre. "Sprache ist das Allerwichtigste für die Integration", sagt Mertesacker, aber vor allem seien die Kinder immer in Bewegung und bekämen wichtige Werte für das Leben vermittelt. Und das in sozialen Brennpunkten mitten in Hannover, inklusive Soccer-Court. Demokratieschulung oder das Thema Hilfen für ein nachhaltiges Leben - alles vermittelt die Stiftung unter dem Motto "Vielfalt und Toleranz".
"Es geht vor allem um Kinder, deren Eltern kein Geld für die Förderung haben, um Flüchtlingskinder oder Kinder mit Handicap", so Mertesacker. Der Kontakt zur Stiftung entsteht durch die Lehrer:innen der Partnerschulen. Unter den 150 Kindern sind natürlich auch Mädchen. Per kommt auch oft vorbei, er hat selbst fünf Kinder. "Wir haben gesellschaftliche Verantwortung", so Mertesacker. Benefizspiele helfen beim Spenden sammeln, auch Patenschaften für einzelne Kinder sind möglich.
"Wonach ich handeln möchte ist ein integrative Leitbild, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und das mit langfristiger Perspektive, das sind Werte die auch die Kirche vertritt. Wir wollen als Familie der Gesellschaft etwas zurückgeben."
Lesen Sie das Beste aus den Interviews am Donnerstagnachmittag hier.