"Es gibt keine gute Lösung im Umgang mit der AfD"

Kirchenvorstandswahl in evangelischer Kirchengemeinde
epd-bild / Steffen Giersch
Kirchenvorstandswahl in einer evangelischen Kirchengemeinde in Dresden (Archivbild). Die Evangelische Kirche sucht noch nach einem geeigneten Umgang mit AfD-Mitgliedern bei KV -Wahlen.
Experte über Toleranz-Dilemmata
"Es gibt keine gute Lösung im Umgang mit der AfD"
Im Oktober können die Protestanten in Bayern in rund 1.500 Kirchengemeinden wieder ihre Kirchenvorstände wählen. Doch was tun, wenn sich AfD-Mitglieder unter die Kandidierenden mischen?

Martin Becher, Leiter der neu gegründeten "Fachstelle Demokratie und gesellschaftliches Miteinander" der bayerischen Landeskirche, erzählt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum die AfD für ihn nicht mit christlichen Werten vereinbar ist und warum es keine gute oder einfache Lösung für Demokraten im Umgang mit der AfD gibt.

epd: Herr Becher, ist die AfD mit christlichen Werten vereinbar?

Martin Becher: Selbstverständlich nicht. Auch wenn das manche Menschen anders sehen. Es gibt ja ganz offiziell den Zusammenschluss von "Christen in der AfD" innerhalb der Partei. Und trotzdem finde ich nicht, dass die AfD und christliche Werte zusammenpassen.

Warum nicht?

Becher: Es gibt ideologische Elemente bei der AfD, die christlichen Werten eindeutig widersprechen. Die AfD stellt die Gleichwertigkeit und damit die Gottebenbildlichkeit aller Menschen infrage. Sie grenzt zum Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte, sozial Schwache oder Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus. Außerdem propagiert die AfD einen völkischen Nationalismus und betrachtet die deutsche Staatsbürgerschaft im Sinne einer ethnischen Zugehörigkeit und Abstammungsgemeinschaft - also das alte Konzept von "Blut und Boden".

Die katholische Kirche hat schon Stellungnahmen verfasst, in denen sie sich dagegen ausspricht, dass AfD-Mitglieder Zugang zu Laienämtern bekommen. Nun hat die Landeskirche nachgezogen: Landeskirchenrat und Diakonischer Rat haben eine Stellungnahme verfasst, hinter die sich am Donnerstag auch die Landessynode gestellt hat.

Becher: Ein solches Positionspapier ist meines Erachtens Pflicht für die Kirche. Nicht in erster Linie als Abgrenzung zur AfD, sondern vor allem auch für uns selbst. Wir müssen für uns selbst bestimmen, wo wir als Kirche stehen und wo wir eine rote Linie ziehen gegen Hass und Hetze. Und wir müssen natürlich vor den Kirchenvorstandswahlen im Herbst den Vertrauensausschüssen mit so einer Verlautbarung den Rücken stärken. Sie brauchen Handlungssicherheit gegenüber Kandidaten, die sich menschenfeindlich positionieren.

Das hört sich nach keinem strikten Kurs gegen die AfD an...

Becher: Ich würde an der Stelle gern etwas zum Toleranz- oder Demokratie-Dilemma ausführen. Dann wird vielleicht klar, warum der Umgang mit der AfD so herausfordernd ist. Auch Journalistinnen und Journalisten tun sich ja schwer mit der Frage, wie sie am besten mit der AfD umgehen sollten.

Bitteschön.

Becher: Der britische Philosoph Karl Popper hat das Toleranz-Paradoxon geprägt, das man auch als Demokratie-Paradoxon bezeichnen könnte angesichts ihrer Bedrohung durch die AfD. Es lautet sinngemäß, dass uneingeschränkte Toleranz nicht möglich ist. Denn wenn Toleranz auch für die Intoleranten gilt und eine tolerante Gesellschaftsordnung nicht gegen deren Angriffe verteidigt wird, dann werden die Toleranten vernichtet und die Toleranz mit ihnen.

Martin Becher ist Geschäftsführer des Runden Tisches der Bayerischen Landeskirche.

Was heißt das für die Demokratie?

Becher: Man muss, um die Demokratie zu verteidigen, Grenzen ziehen, sogar bis hin zu einem Parteienverbot. Für eine freiheitlich und rechtsstaatlich geprägte Demokratie ist das geradezu paradox, aber im Sinne ihres eigenen Überlebens notwendig. Es wird in der Demokratie also nie eine gute oder einfache Lösung im Umgang mit Demokratiefeinden wie der AfD geben.

Wo macht sich dieses Paradoxon konkret bemerkbar?

Becher: Wir erleben das in nahezu allen Konflikten mit der AfD. Sie nutzen ihre Rechte und Möglichkeiten, die ihnen in einer Demokratie zustehen, um diese zu zerstören. Das ist für die Demokratie eine asymmetrische Auseinandersetzung - weil es keine Gleichheit an "Waffen" gibt.

Nehmen wir etwa das Beispiel "Recht". In den Parlamenten sitzen laut den Recherchen von "Correctiv" einige AfDler, die gegen das Gesetz verstoßen haben, unter anderem wegen (gefährlicher) Körperverletzung, Beleidigung oder Volksverhetzung. Sie missachten also das Recht, und zwar sehr regelmäßig. Gleichzeitig nutzen sie den Rechtsstaat und das Recht nach allen Regeln der Kunst zu ihren eigenen Gunsten aus, etwa jetzt im Prozess gegen die Einschätzung des Verfassungsschutzes. Da wird in gewisser Weise die Justiz ausgehebelt.

Was bedeutet das jetzt für die Kirchen?

Becher: Das bedeutet erst mal eine Gratwanderung. Ist man zu weich im Umgang mit der AfD, dann setzt man sich der Gefahr aus, sich nicht klar und deutlich genug zu positionieren. Ist man zu hart, macht man sich juristisch unter Umständen angreifbar.

Die entsprechenden Papiere im Umgang mit der AfD auch von katholischen Bischöfen sind in erster Linie politische und theologische Positionierungen in der Öffentlichkeit. Eine rechtliche Handhabe, jemanden aus einem kirchlichen Amt oder gar Ehrenamt zu entfernen, weil er oder sie AfD-Mitglied ist, findet sich hier nicht. Auch der Freistaat Bayern tut das nicht mit seinen Beamten.
Für uns als Landeskirche bedeutet all dies: Unsere Stellungnahmen müssen neben der politischen und rechtlichen Abwägung gut biblisch-theologisch argumentieren.

"Ist man zu weich im Umgang mit der AfD, dann setzt man sich der Gefahr aus, sich nicht klar und deutlich genug zu positionieren. Ist man zu hart, macht man sich juristisch unter Umständen angreifbar"

Der Vorsitzende des bayerischen AfD-Landesverbands, Stephan Protschka, hat sich mit harschen Worten gegen die Stellungnahmen von katholischen Bischöfen gewehrt und gegen "Sexskandale" gewettert...

Becher: Ohne die Kirchen in der Missbrauchsdebatte verteidigen zu wollen - das ist ein klassischer Whataboutism, wie wir ihn von der AfD oft sehen. Die AfD zeigt sich nie selbstkritisch oder geht inhaltlich auf Kritik ein, sondern geht grundsätzlich in die Gegenoffensive. Sie will gar keine inhaltlichen Kompromisse, sondern in erster Linie empören und emotionalisieren. Einen konstruktiven Beitrag, etwa mit Kompromissvorschlägen für Sachthemen, erwartet ja auch niemand von der AfD. Ein Fehler, wie ich übrigens finde.

Inwiefern?

Becher: Journalisten etwa fühlen sich meines Erachtens zu sehr unter Druck gesetzt, die AfD bei jedem Interview entlarven zu müssen. Manchmal reicht es auch, unaufgeregt zu sein und die AfD nach Sachthemen zu fragen, auch mal weg von ihren Lieblingsthemen Migration, Sicherheit und Heizungsgesetz. Ein ZDF-Sommerinterview von Thomas Walde mit dem damaligen Parteivorsitzenden Alexander Gauland fand ich da sehr erhellend: Gefragt zum Rentenkonzept, einer Digitalisierungsstrategie und dem Klimawandel konnte Gauland rein gar nichts Sinnvolles sagen. Das Interview wurde gar nicht über die gesamte Sendezeit gezeigt, weil er einfach zu keinen Fakten etwas beitragen konnte. Wir müssen die AfDler ernst nehmen, in dem, was sie vorgeben, zu sein: nämlich Politiker.

Das klingt ja zu schön, um wahr zu sein...

Becher: In gewisser Weise schon. Sie dürfen nicht vergessen, dass die AfD sehr feine Antennen für das Demokratie-Paradoxon hat. Das kann man auch gut an Putin durchspielen. Der nutzt alles aus, was ihm die westlichen Demokratien bieten, um sie zu schwächen, zum Beispiel die sozialen Medien. In seinem eigenen Land werden sie hingegen streng reguliert, dort darf man nicht einmal ungestraft um 12 Uhr wählen gehen.

Oder Donald Trump. Der setzt alles daran, die Gerichtsprozesse gegen ihn in die Länge zu ziehen. Funktioniert mal was nicht nach seinem Willen, zum Beispiel ein Wahlausgang, dann war der Deep State schuld. Die AfD würde hierzulande sagen, die Systemparteien. Ein Punkt ist mir noch sehr, sehr wichtig.

Schießen Sie los...

Becher: So schwierig der Umgang mit der AfD auch sein mag. Wir als Demokraten oder als Kirchen dürfen uns in der Auseinandersetzung mit ihnen und dem damit verbundenen Demokratie-Dilemma nicht zerstreiten. Wir werden immer unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie wir mit Gefahren für die Demokratie umgehen sollten und wo wir jeweils unsere Grenze ziehen. Hier müssen wir dringend wechselseitige Toleranz üben.

Für Demokratiefeinde gäbe es jedenfalls nichts Besseres, wenn sich Demokraten gegenseitig bei der Frage des Umgangs mit ihnen niedermachen. Von daher sollten wir das tunlichst bleiben lassen. Wir müssen akzeptieren, dass es keine gute Lösung im Umgang mit der AfD gibt in dem Sinn, dass damit alles geregelt ist, und zwar zur Zufriedenheit aller.