TV-Tipp: "Der Fall Marianne Voss"

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25. März, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Fall Marianne Voss"
Der Mann wirkt aufrichtig entgeistert, als eines Morgens ein Staatsanwalt vor der Tür steht und ihn verhaften lässt. Karsten Voss, von allen bloß "Vossi" genannt, sieht ohnehin nicht aus wie ein Mörder; aber wer tut das schon.

Außerdem genießt der ehemalige Bürgermeister in seiner brandenburgischen Gemeinde höchstes Ansehen, weil es ihm nach der "Wende" gelungen ist, mehrere große Unternehmen in den Ort zu locken; dank erheblicher Steuervergünstigen hat Griesenow sogar ein 20 Millionen Euro teures Spaßbad mit allem Drum und Dran. All’ der "Aufschwung Ost" zählt jetzt jedoch nichts mehr: Voss wird vorgeworfen, erst die Gattin und dann ihren Hund erwürgt und beide im Wald verscharrt zu haben. Er leugnet die Tat; vor Gericht muss er trotzdem. Seine Verteidigerin ist zuversichtlich, weil sich die Anklage allein auf Indizien stützt. 

Karsten Voss gibt es wirklich, das Drehbuch von Karin Kaçi basiert auf authentischen Vorbildern und Ereignissen, die sich vor gut zehn Jahren zugetragen haben; einzig die Namen wurden geändert. "Der Fall Marianne Voss" ist jedoch kein Krimi. Die Handlung wird nicht aus Sicht einer Kommissarin oder des Staatsanwalts erzählt, weshalb es auch keine typischen Ermittlungsdialoge gibt, sondern konsequent aus Sicht des Angeklagten, allerdings mit Ausnahme des Auftakts: Wer die Friseurin ermordet hat, bleibt offen. Im Verlauf des Prozesses werden die bedrückenden Szenen der Ehe in Form von Rückblenden nachgereicht. Die Sympathien sind dabei klar verteilt, weil die von Valerie Koch zudem sehr distanziert verkörperte Frau betont hartherzig und lieblos erscheint.

Jörg Schüttauf hat in seiner langen Karriere zwar schon viele Schurken gespielt, aber anders als Marianne wird Karsten Voss auch im Kreis seiner Mitstreiter gezeigt, die ihn schätzen und mögen. Als Macher und Kämpfer lädt er ohnehin zur Identifikation ein; außerdem kann er sich des Mitgefühls sicher sein. In einem Justizdrama aus Hollywood wäre ihm der Freispruch gewiss, vorausgesetzt, die Jury bestünde nur aus Männern, denn Marianne triezt, piesackt und dominiert ihn nach allen Regeln der Kunst; heute würde man eine derartige Beziehung toxisch nennen.

Seine Faszination verdankt der Film dem Analyseprozess. Dank der Aussagen vor Gericht, unter anderem von Karstens Therapeutin (Marie Lou Sellem) sowie der besten Freundin (Steffi Kühn) Mariannes, entwickeln sich nach und nach die Lebensgeschichten zweier Menschen, die sich auf fatale Weise ergänzt haben: hier ein Mann, der in seiner entbehrungsreichen Kindheit mit einer furchtbaren Mutter geschlagen war, die ihn nach Strich und Faden drangsalierte, bis sie schließlich in den Westen floh und ihn als Jugendlichen zurückließ; dort eine Frau, die unter ähnlich widrigen Bedingungen aufgewachsen ist, aber von Kindesbeinen an gelernt hat, dass es nichts Wichtigeres gibt, als den Schein zu wahren. Für ihn war die Ehe ein sozialer Aufstieg, für sie die Rettung in der Not, weil sie von einem anderen Mann schwanger war. Karsten hat die ständigen Demütigungen, wie die Therapeutin erkennt, so lange runtergeschluckt, bis sein Magen rebellierte; in Mariannes familiärer Randordnung lag er hinter Tochter und Hund nur auf Platz vier. Seine Erfolge als Bürgermeister haben das triste Dasein daheim lange überstrahlt, aber als er nach knapp zwanzig Jahren im Amt zurücktrat, fehlte dieser Ausgleich. Eine junge Asiatin sorgte zwar für Sonne in seinem Leben, aber ihre Wohnung in Berlin kann er sich als Rentner nicht mehr leisten. 

Die Handlung konzentriert sich voll und ganz auf Karsten, weshalb die Gattin als klassische Xanthippe erscheint; Männern wäre für eine derart einseitige Schilderung womöglich Misogynie vorgeworfen worden. Regie führte Uljana Havemann, die zuletzt unter anderem den sehenswerten Neustart der ARD-Reihe "Die Eifelpraxis" mit Jessica Ginkel als Nachfolgerin von Rebecca Emmanuel (2021) sowie zuvor "Der Alte und die Nervensäge" (2020, ebenfalls ARD) gedreht hat, ein sympathisches Roadmovie mit Jürgen Prochnow als Supergrantler, der vor seiner über-fürsorglichen Familie in die Alpen flieht. Sehenswert ist "Der Fall Marianne Voss" auch wegen der winterlich-frostigen Bildgestaltung (Stephan Wagner); dank eines leichten Stichs ins Blaugrüne wirken auch die Innenaufnahmen im Haus von Familie Voss unterkühlt. Zwischendurch legen grobkörnige Rückblenden im Super-8-Stil die Vermutung nahe, dass das Ehepaar mal bessere Zeiten hatte; aber vielleicht war auch diese heile Welt bloß inszeniert.