TV-Tipp: "Am Abgrund"

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6. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Am Abgrund"
Wer wie Deutschland auf ausländische Rohstoffe angewiesen ist, darf bei der Auswahl der Lieferanten nicht zimperlich sein. Der neue Film des Polit-Thriller-Spezialisten Daniel Harrich hat es wieder in sich und ist leider keine Fantasie. Sehenswert findet unser Rezensent Tilmann P. Gangloff.

Dummerweise kommen nicht nur Gas und Öl, sondern auch Metalle der Seltenen Erden bevorzugt aus autokratisch regierten Ländern. Unvergessen ist ein Foto, das im März 2022 aufgenommen worden ist, als Robert Habeck dem Emir von Katar seine Aufwartung machte, um ein Abkommen über die Lieferung von Gas abzuschließen. Der Wirtschaftsminister neigte zur Begrüßung den Kopf, aber das Bild erweckte den Eindruck, er mache einen Diener. 

"Am Abgrund", der neue Film des Polit-Thriller-Spezialisten Daniel Harrich, befasst sich im weitesten Sinn mit solchen fragwürdigen Allianzen, aber offenkundiger sind die Parallelen zu einem im Dezember 2022 aufgedeckten Skandal, der das Europaparlament betrifft. Damals hatte sich herausgestellt, dass enorme Summen geflossen sind, "um die Interessen ausländischer Staaten im Europäischen Parlament zu schützen", wie es im entsprechenden Parlamentsbericht hieß. Der Vorfall ist in Anspielung auf den Watergate-Skandal als Katargate-Skandal in die Annalen eingegangen. 

Harrich ist seit seinem Film über das Oktoberfestattentat im Jahr 1980 ("Der blinde Fleck", 2013) ein Chronist der deutschen Zeitgeschichte: Mit "Meister des Todes" (2015/2020) hat er fragwürdige deutsche Waffenlieferungen in Krisenregionen angeprangert, "Gift" (2017) handelte vom milliardenschweren Handel mit gefälschten Medikamenten, in "Saat des Terrors" (2018) beschrieb er, wie westliche Geheimdienste den islamistischen Terrorismus groß gemacht haben; zuletzt hat er sich in "Bis zum letzten Tropfen" (2022) mit der Verscherbelung von Wasserrechten befasst. Seine Drehbücher basieren stets auf jahrelangen Recherchen, weshalb auch sein jüngstes Werk äußerst beunruhigend ist. Im Fokus stehen Aserbeidschan und sein Einfluss auf den Europarat, eine Einrichtung, die nichts mit der EU zu tun; sie repräsentiert 46 Staaten und ist ein Ort für Debatten über wirtschaftliche und soziale Fragen. 

Hauptfigur ist der idealistische Sozialdemokrat Gerd Meineke (Hans-Jochen Wagner) aus Recklinghausen. Seine zukünftige Frau Alina (Jasmin Tabatai) stammt aus Aserbeidschan, sie ist einst mit ihrer kleinen Tochter aus ihrem Dorf vertrieben worden, als in der Region Gas und Öl entdeckt wurden. Leyla (Luna Jordan) ist mittlerweile eine junge Frau und nach dem Abitur in die Heimat ihrer Vorfahren zurückgekehrt, um sich dort als Bloggerin für Menschenrechte zu einzusetzen. Als sie verhaftet wird, lässt sich Meineke, Mitglied des Bundestags und Abgeordneter im Europarat, als Beobachter der Präsidentschaftswahlen nach Baku schicken, um Leylas Freilassung zu erwirken. Zu seiner wichtigsten Verbündeten wird ausgerechnet die persönliche Referentin von Tofik Gasimov (Navid Negahban), dem Vertreter seines Landes im Europarat: Valentina (Alina Levshin) ist Leylas Freundin, was in dem islamischen Land ohnehin höchst problematisch ist, und versorgt Meineke mit brisantem Material. Erst weitere Informationen aus einer gänzlich unerwarteten Quelle führen ihn jedoch auf die Spur des Geldes und einen Korruptionsskandal unvorstellbaren Ausmaßes. Plötzlich entpuppt sich eine scheinbar völlig übertriebene Aussage Gasimovs als bittere Realität: Meineke hatte versichert, er sei nicht bestechlich, woraufhin der Politiker trocken erwiderte, da sei er aber der einzige. 

Da Harrich einen ausgezeichneten Ruf genießt und seine Filme auch durch den produktionellen Aufwand  aus dem üblichen TV-Rahmen fallen, ist die Besetzung stets prominent und vortrefflich. Zu den regelmäßigen Mitwirkenden gehören unter anderem Heiner Lauterbach, Axel Milberg und Sebastian Bezzel, die auch diesmal wieder mit dabei sind.

Zwar haben nicht alle Mitwirkenden ihr Niveau, aber sehr charismatisch ist auch Navid Negahban als Gegenspieler, der den deutschen Politiker mit den Worten "Willkommen im wilden Kaukasus" begrüßt. Sehenswert ist "Am Abgrund" vor allem wegen der klugen Verknüpfung des politischen, wirtschaftlichen und moralischen Anspruchs mit der privaten Ebene. Gerade diese schlüssige Kombination ist eine echte Herausforderung, an der viele vergleichbare Dramen scheitern: Oft wirkt die persönliche Betroffenheit wie ein Vorwand, um ein anspruchsvolles Thema in einen emotionalen Rahmen zu betten; hier ist dieses Motiv jedoch der Motor der Handlung. Die Bilder aus dem glitzernden Baku sind ohnehin eindrucksvoll. Eine anschließende Dokumentation belegt, dass die filmischen Mordfälle keineswegs Produkte von Harrichs Fantasie sind.