TV-Tipp: "Die Saat – Tödliche Macht"

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9. Dezember, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Die Saat – Tödliche Macht"
Wirtschaft und Politik stecken voller Themen, aus denen sich großartige Filme und Serien machen ließen. Das Problem dabei: Die Stoffe sind meist derart komplex, dass viel Erklärungsbedarf nötig ist, und überdies oft zu abstrakt, um auf persönlicher Ebene zu fesseln.

Deshalb kombinieren die entsprechenden Drehbücher das große Ganze gern mit einem individuellen Schicksal. Am besten eignen sich Außenstehende, die nur mittelbar betroffen sind und zunächst genauso wenig Einblick in die Materie haben wie das Publikum. Wenn die Identifikationsfigur dann auch noch von Heino Ferch verkörpert wird, kann im Grunde nichts mehr schiefgehen, zumal der Inhalt der spannenden deutsch-norwegischen Koproduktion "Die Saat – Tödliche Macht" tatsächlich uns alle betrifft. 

Am Anfang stellten sich Grimme-Preisträger Christian Jeltsch und Koautor Axel Hellstenius eine Frage: Wer ernährt eigentlich die Welt? Und wer profitiert davon? Die Recherchen führten unter anderem zum "Global Seed Vault", der weltweit größten Samenbank für Agrarprodukte auf der norwegischen Arktisinsel Spitzbergen. Die erste Folge beginnt mit dem Versuch eines jungen Mannes, in den Felsenbunker einzudringen. Der zweite Auftakt führt die Hauptfigur ein: Max Grosz (Ferch), ein angesehener Hauptkommissar aus München, ist gesundheitlich schwer angeschlagen. Außerdem macht er sich Sorgen um seinen Neffen Victor, der wie ein Sohn für ihn ist. Die Spur des jungen Öko-Aktivisten verliert sich auf Spitzbergen. Weil die dortige Polizei die Suche eingestellt hat, nimmt Grosz die Dinge selbst in die Hand. Blutspuren am Rand des Saatgut-Tresors lassen das Schlimmste befürchten; und jetzt wandelt sich die persönliche Geschichte zu einem Stoff von globaler Relevanz.

Die große Kunst der von Regisseur Alexander Dierbach bearbeiteten Drehbücher besteht in der gelungenen Kombination der beiden Ebenen: Um herauszufinden, was aus Victor (Jonathan Berlin) geworden ist, muss sich Grosz mit dessen Nachforschungen beschäftigen. Nun kommen zwei weitere zentrale Figuren ins Spiel. Die neben Ferch charismatischste Rolle hat Rainer Bock als Lobbyist Jon Hoffmann, der auch zu unschönen Methoden greift, wenn er mit Geld und guten Worten nichts erreicht. Sein jüngstes Projekt ist die Fusion eines Münchener Konzerns mit einem amerikanischen Konkurrenzunternehmen. Die deutsche BSG hat ein Saatgut entwickelt, das bis zu 70 Prozent mehr Ertrag bringt und die weltweiten Nahrungsprobleme lösen soll, zumal es ohne Pestizide und Kunstdünger gedeiht. Durch die Fusion würde jedoch ein Monopol entstehen, was Jule Kronberg (Friederike Becht), die neue EU-Kommissarin für Wettbewerb, unbedingt verhindern will.

Clever verknüpfen die sechs handlungs- und wendungsreichen Episoden Grosz’ Suche nach Victor mit den Machenschaften Hoffmanns und dem Widerstand der jungen Deutschen, die eine bittere Lektion lernen muss. Das erste Opfer des Krieges, heißt es, ist die Wahrheit, das erste Opfer der Politik sind die Ideale; die entsprechenden Szenen wecken prompt Assoziationen zur Regierungsarbeit der Grünen, deren realpolitischer Pragmatismus zulasten vieler Prinzipien geht. Dank der ausgezeichneten Drehbucharbeit und der guten Regie – Dierbach hat unter anderem diverse hochgradig spannende Episode für die ZDF-Reihe "Helen Dorn" inszeniert – sind beide Ebenen der Serie gleichermaßen packend. Die Aufnahmen aus dem unwirtlichen Spitzbergen sind ohnehin beeindruckend. 

Angenehm beiläufig kommen zudem Emotionen ins Spiel: Zunächst ist der Ton zwischen Grosz und der norwegischen Polizistin Thea Krohn (Ingrid Bolsø Berdal) eher schroff, weil der unhöfliche Deutsche die Kollegin wie eine Assistentin behandelt, aber dann erkennen die beiden, dass sie gleichermaßen versehrt sind: er physisch, sie psychisch. Es ehrt die Autoren, dass sie trotzdem nicht gleich eine Romanze aus der Beziehung gemacht haben. Für zusätzliche Spannung sorgt Hoffmanns Frau fürs Grobe: Eine Söldnerin (Laura de Boer) soll gewährleisten, dass die Fusion nicht doch noch durch übereifrige Aktivisten oder einen neugierigen Polizisten gefährdet wird. Tote sind in den Plänen des frommen Drahtziehers allerdings nicht vorgesehen; und das ist längst nicht die letzte unangenehme Überraschung, für die seine Mitarbeiterin sorgt. Einziger Wermutstropfen: Wie immer bei Koproduktionen dieser Art wirkt die akustische Ebene uneinheitlich, gerade weil alle Deutsch sprechen. Das "Erste" zeigt heute die Episoden eins bis vier, der Rest folgt morgen ab 21.45 Uhr. In der ARD-Mediathek steht auch die originale englische Version.