Noch immer koloniales Denken in Kirchen-Beziehungen

Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission, Volker Dally
© epd/Uwe Moeller
Der Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission, Volker Dally, hält das "ideologisches Überlegenheitsgefühl", mit dem viele Missionare damals in die Kolonien gegangen seien für besonders problematisch.
Aufarbeitung der Kolonialzeit
Noch immer koloniales Denken in Kirchen-Beziehungen
In der Debatte um eine historische Verstrickung von christlicher Mission und Kolonialismus rät der Missionsexperte Volker Dally zu Differenzierung. Es müsse aufgearbeitet werden, wo Missionare den damaligen Kolonialmächten bewusst oder unbewusst zugearbeitet oder wo sie dies abgelehnt hätten, sagte der Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Zur VEM, die aus der früheren Rheinischen Mission und der Bethel-Mission hervorging, zählen heute 38 Kirchen in Afrika, Asien und Deutschland sowie die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Klar sei, dass die Mission sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht entschlossen mit den Verfechtern der Rassenideologie auseinandergesetzt habe, räumte Dally ein. Damit habe man Schuld auf sich geladen. Im Jahr 1990 habe die Missionsleitung der VEM anlässlich der Unabhängigkeit von Namibia ihre Mitschuld an Kolonialismus, Rassismus und Apartheid in der früheren deutschen Kolonie Südwestafrika öffentlich bekannt.

Als besonders problematisch bezeichnete der evangelische Theologe ein "ideologisches Überlegenheitsgefühl", mit dem viele Missionare damals in die Kolonien gegangen seien. Sie hätten geglaubt, besser als die einheimische Bevölkerung zu wissen, wie die Bibel zu lesen sei: "Nur einzelne begriffen, dass auch Ethiken der indigenen Völker mit christlicher Ethik vergleichbar sind."

Als positives Beispiel nannte Dally den Missionar August Kuhlmann, der nach 1900 in Deutsch-Südwestafrika für das Volk der Herero gegen die Kolonialmacht Partei ergriff und sie - vergeblich - vor dem von deutschen Truppen begangenen Völkermord zu schützen versuchte. Der Missionar Johannes Emde, der auf der indonesischen Insel Java tätig war, habe demgegenüber eigene "10 Gebote" erlassen, wonach etwa Männer sich die Haare kurz schneiden mussten und keine traditionelle Kleidung mehr tragen durften. "Hier gab es überhaupt keine Reflexion über Rassismus", stellte der VEM-Generalsekretär fest.

In Partnerschaftsbeziehungen zwischen Kirchen kommt koloniales Denken nach Dallys Beobachtung auch heute noch vor. Sätze wie "Wir wissen schon, wie man euch im Süden helfen kann" seien nach wie vor zu hören - zum Beispiel während der Corona-Pandemie. "Da hat man einfach wieder Geld und materielle Güter von Nord nach Süd geschickt, anstatt gemeinsam zu erarbeiten, was die Kirchen im Süden brauchen", sagte der 62-Jährige. Das sei überheblich und kolonialistisch.

Das koloniale Erbe besteht nach Ansicht Dallys auch darin, dass manche Gruppen im Süden Angst hätten, Unterstützung zu verlieren, wenn sie Kritik an ihren Partnern im Norden äußern. Der Pfarrer rät, Gemeindepartnerschaften möglichst frei von materiellen Zwängen zu gestalten: "Verständigen Sie sich über gemeinsame Themen und seien Sie vorsichtig mit jeder Projektarbeit." Dally sieht es auch skeptisch, wenn deutsche VEM-Mitgliedskirchen Schulden von Partnern im Süden übernehmen.

Die VEM-Kirchen in Afrika, Asien und Deutschland setzen sich nach den Worten des Theologen seit Jahrzehnten in Studienprozessen mit Rassismus und Kolonialismus auseinander. In den Ländern des globalen Südens werde zwischen staatlichem Kolonialismus und missionarischem Einsatz durchaus unterschieden. Mit der Mission würden neben der "befreienden Botschaft des Evangeliums" auch Errungenschaften wie die Gründung von Schulen, Bildung für Mädchen oder die Abschaffung des Kannibalismus verbunden.