Schwarzweißfotos aus einer brasilianischen Goldmine lassen den Atem stocken. Halbnackte Menschen auf halsbrecherisch steilen Leitern, aufgestellt an Abgründen, Erdhügeln, Schluchten, das alles in schwindelerregenden Perspektivwechseln. Der Bildband "Gold" zählt zu den fotografischen Ikonen eines Genres, das mit sozialdokumentarisch nur unzureichend beschrieben ist.
Salgado, geboren im brasilianischen Aimorés und aufgewachsen auf der elterlichen Rinderfarm, vermittelte in seinen Fotoarbeiten eine intensive Annäherung an die Menschen. Es geht um ein Ausmessen ihrer Schicksale, eine Empathie mit ihren Leiden, eine nachhaltige Anteilnahme an ihrer Heimatlosigkeit, ein tief empfundenes Mitgefühl mit den Schwächsten der Schwachen. Am Freitag ist Salgado im Alter von 81 Jahren gestorben, wie die Akademie der Schönen Künste in Paris mitteilte, deren Mitglied er war.
Zunächst studierte er Wirtschaftswissenschaft. 1969 emigrierte er mit seiner Frau nach Paris, das Paar hatte sich gegen die Militärdiktatur in Brasilien engagiert. Seit 1973 widmete Salgado sich ganz der Fotografie. Großformatige Bücher waren sein Hauptmedium. Neben "Gold" waren es beispielsweise "Exodus", "Arbeiter", "Kinder", "Afrika", "Migranten". Er zeigte Zuckerrohrarbeiter in Kuba, Schwefelsammler in Indonesien, Goldgräber in Brasilien.
Wobei seine Arbeiten immer auch als Projekte zu verstehen waren, oft unterstützt von Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" oder Unicef. Kein Wunder also, dass der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019 diesem weltweit agierenden Fotografen zugesprochen wurde: Sein Werk diene, wie es das Statut verlangt, dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker.
Zu perfekte Bilder für die Realität?
Es gab auch Kritik, zumindest Zweifel: Ob die Fotos nicht in sich zu perfekt seien, zu sehr einer Suche nach den besten Licht- und Schatteneffekten verpflichtet, auch einer Komposition, die in sich eine eigene Schönheit berge und damit das eigentliche Sujet in den Hintergrund treten lasse? Andererseits sprechen seine Bilder sehr direkt. Sie zeigen eine schreckensgesättigte Realität in aller Deutlichkeit, gesteigert durch das abstrahierende Schwarz-Weiß, das eine andere, härtere Ebene einzieht und das Elementare, Existentielle herausarbeitet.
Der deutsche Filmemacher Wim Wenders widmete der Arbeit Salgados einen Dokumentarfilm: "Das Salz der Erde" (2014). Der Film begleitete den Fotografen bei der Arbeit, zeigt biografische Linien, kommentiert Haupteigenschaften dieses wahrhaft epochalen Werkes, dessen Schwerpunktphasen oft mehrere Jahre umfassen.
Bilder als Hymne an die Schönheit der Erde
Und er zeigt eine wichtige Scharnierstelle, nämlich die Hinwendung zu einem Projekt, das eine einzige Hymne an die Schönheit der Erde ist: Meere und Wüsten, die Arktis und der Amazonas, Seelöwen, Wale, Rentiere. "Genesis", so lautet der Titel dieses Mammutwerks, das Salgado 2004 begann, mit atemberaubenden Einblicken in noch unberührte Landschaften und Lebensräume der Welt. Ob Salgado den Begriff der Schöpfung biblisch verstand? Er selbst sprach von einer "visuellen Liebeserklärung an die Erhabenheit und Zartheit der Welt".
Zuvor hatte er buchstäblich in finstere Abgründe geblickt, beispielsweise bei den Aufnahmen der menschlichen Verheerungen, die der Bürgerkrieg und Völkermord in Ruanda angerichtet hatte. Auch die Fluchtbewegungen in der Sahelzone führten zu Bildern an der Grenze des Zeigbaren. "Wir sind bösartige, schreckliche Tiere, wir Menschen", fasste der Fotograf diese Erfahrungen zusammen. "Unsere Geschichte besteht aus Kriegen, eine endlose Geschichte, auch eine Geschichte der Unterdrückung, des Irrsinns."
Nach diesen erdrückenden Erlebnissen sah sich der Vater von zwei Kindern als sozialer und humaner Fotograf zutiefst infrage gestellt. Das führte zu einer praktischen Wende, zu einem großen neuen Lebensprojekt: der Wiederbelebung der abgeholzten Rinderfarm seines Vaters in Brasilien. Die Idee kam von seiner Frau Lélia, die einst auch seine fotografische Passion angestoßen hatte. Das Farmgelände wurde mit bald drei Millionen Bäumen wieder aufgeforstet. Das von Salgado gegründete "Instituto Terra" wurde vielerorts zum Vorbild einer positiven Umwelt-Umkehr.
Dass diese neue Lebenserfahrung auch zum Werk "Genesis", der fotografischen Hommage an den Planeten führte, verurteilten manche als Verrat an der früheren sozialkritischen Arbeit. Doch Salgado sah "Genesis" als ultimative Aufforderung, die Grundlagen der Schönheiten der Welt zu bewahren.