Mit VR-Brillen mehr Teilhabe an Kultur

Katja Sieder als Schauspielerin im Theaterstück des Staatstheaters Augsburg "Unser Leben in den Wäldern".
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Katja Sieder als Schauspielerin im Theaterstück des Staatstheaters Augsburg "Unser Leben in den Wäldern".
Staatstheater Augsburg
Mit VR-Brillen mehr Teilhabe an Kultur
Theaterbesuche sind ein Erlebnis. Aber manche Menschen mit körperlichen oder seelischen Einschränkungen können nicht mehr ins Theater. Oder waren noch nie da und wissen deshalb nicht, was sie verpassen. Auch deshalb ist das Staatstheater Augsburg mit seinen VR-Stücken ein Vorreiter.

VR-Brille auf, einschalten, los geht’s mit der 360-Grad-Theater-Erfahrung: Das Staatstheater Augsburg ist hierzulande ein Vorreiter bei der Produktion von Theaterstücken für das Erlebnis in virtueller Realität (VR). Mit dem dystopischen Kammerspiel "Unser Leben in den Wäldern" wurde erstmals eine Bühne komplett am Computer animiert und die Schauspieler vor dem Greenscreen gefilmt und nachträglich in eine designte Welt eingebaut.

Eine rätselhafte, verängstigte Frau steht alleine im Wald und erzählt die Geschichte von ihrem Dasein in einer Welt voller Drohnen und staatlicher Überwachung. Die Natur ist ihr Zufluchtsort. "Ich bin allein." und "Mir ist kalt." skandiert sie immer wieder stoisch direkt in die Augen des Betrachters, der nur seinen Kopf zu drehen braucht, um das satte Grün der Bäume und den von braunen Blättern gesäumten Waldboden rundum zu betrachten. Doch immer wieder flackert die Szenerie - Bildstörungen oder Übertragungsprobleme?

Es sind solche falschen Fährten des Verwischens von Fiktion und Realität, die Autorin Marie Darrieussecq in ihrem Roman aus dem Jahr 2019 legt. Tina Lorenz und Bücker, die aus den literarischen Zukunftsvisionen von digitaler Überwachung eine Theaterfassung schufen, legen in ihrer technischen Umsetzung noch einige mehr. Viviane/Marie (Katja Sieder) als "unzuverlässige Erzählerin" sei spannend, weil ihr "nicht ganz zu trauen" sei. Und das Stück eigne sich gerade wegen seiner Dichte für eine VR-Umsetzung, finden die Theatermacher.

Mit dem "Klicker" (Thomas Prazak) wird ein Programmierer eingeführt, der im Verhör mit einer Pflegerin (Ute Fiedler) von seinem Wirken berichten soll. Inwieweit dies mit den im Wald lebenden Rebellen zu tun hat, die dem augenscheinlich staatlich verordneten Treiben entfliehen wollen, bleibt im Unklaren. Ist Protagonistin Viviane, der anscheinend ein Auge herausgenommen und in deren Körper ein Chip implantiert worden war, real? Oder spricht ihr Alter Ego Marie - das menschliche Ersatzteillager, das sich nur Reiche leisten können?

Technisch auf der Höhe der Zeit

Bücker spielt gerne mit solchen Fragen. Er findet, dass die mit 3D-Soundtechnik und rundum angeordneten Kameras aufgenommene Schauspielproduktion nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch inhaltlich auf der Höhe der Zeit ist. Ängste vor zu viel Künstlicher Intelligenz plus die Natur als brüchiges Ideal - das ist 2023 angesagt. Andere Einrichtungen werben aktuell mit Produktionen, in denen eine kleine Stückzahl an VR-Brillen Zusatzinformationen für die Zuschauer bietet - etwa in Düsseldorf oder auf dem Bayreuther Grünen Hügel.

Mittlerweile sind in Augsburg zwölf Produktionen mit VR-Beteiligung entstanden. Darunter Stücke für Tanz, Schauspiel oder Konzert. Bestellt werden kann über die Webseite des Staatstheaters. Die Brille kommt aufgeladen mit einer Betriebsdauer von rund fünf Stunden per Post nach Hause - inklusive kostenlosem Paket-Rückschein. Es gibt außerdem Produktionen, die man sich über die Webseite als Stream auf die eigene VR-Brille zu Hause schicken kann.

"Man muss völlig anders denken, als bei einer gewöhnlichen Theaterproduktion", sagt Bücker. Im Kopf habe man bisher ein zweidimensionales Bild mit frontaler Wirkung auf den Zuschauerraum: "Jetzt inszeniert man für ein stereoskopisches 360-Grad-Erlebnis." Für die technische Umsetzung habe das Staatstheater mit einer Kreativagentur zusammengearbeitet. "Ich habe gefragt, was man denn eigentlich alles machen kann in VR. Die haben gesagt, alles", erläutert er. Eine "neu gewonnene Freiheit" - aber auch eine "neue Herausforderung".

Durch VR kommt das Staatstheater auch immer mehr in Kontakt zu jungen Menschen. Man besuche die Schulen, stelle Schülern die Brillen vor und freue sich, wenn man sie so auch zum physischen Theaterbesuch animieren kann. "So werden wir auch unserem Auftrag gerecht", ergänzt Bücker. Ein weiterer Aspekt: Durch VR erreiche man Menschen, die nicht oder nicht mehr kommen können - weil sie gehandicapt sind. So habe sich eine Frau mit Parkinson alle Ballett-Produktionen des Theaters auf ihre VR-Brille bestellt, erinnert er sich.