TV-Tipp: "Tatort: Nichts als die Wahrheit"

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9. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Nichts als die Wahrheit"
Der Zweiteiler ist eine fesselnde Mischung aus Polizeifilm und Polit-Thriller. Es geht um Korpsgeist bei der Polizei, um strukturellen Rassismus und um die "Neue Rechte". Gegen Ende sorgt der ungewöhnliche Krimi auch noch für Nervenkitzel.

Als im letzten Jahr gleich eine ganze Reihe rechtsradikaler Chat-Gruppen innerhalb der Polizei entdeckt worden sind, sorgte das in erster Linie für unappetitliche Meldungen und Klärungsbedarf. Seither beschäftigt das Phänomen zwar die Justiz, aber aus den Schlagzeilen ist es längst wieder verschwunden. Dabei sind neben der erschreckenden Häufung auch die faschistischen Inhalte höchst bedenklich. Vor diesem Hintergrund haben sich Katja Wenzel und Stefan Kolditz eine Geschichte ausgedacht, die das verbreitete Gedankengut zu Ende denkt. Zunächst stand das Drehbuchduo jedoch vor einer ganz anderen Herausforderung.

Wenn TV-Krimi-Teams ein neues Mitglied bekommen, läuft das oft nach einem bestimmten Muster ab: Der oder die Neue begegnet den Anderen nicht im Büro, sondern direkt am Tatort, und die Stimmung ist aus meist unerfindlichen Gründen eher feindselig. Zumindest eine gewisse Skepsis prägt auch das erste Aufeinandertreffen von Robert Karow (Mark Waschke) und Susanne Bonard (Corinna Harfouch): Die Kollegin hat die letzten zwölf Jahre an der Polizeiakademie verbracht und die Wirklichkeit, wie Karow anmerkt, nur durchs Fenster betrachtet. Außerdem ist sie beim ersten gemeinsamen Fall nicht unbefangen: Schutzpolizistin Rebecca Kästner (Kaya Marie Möller) ist durch eine Kugel aus der eigenen Dienstwaffe gestorben; alles deutet auf Selbsttötung. Kurz vor ihrem Tod hat sie ihre frühere Dozentin angerufen. Bonard hat die junge Frau, die während der Seminare durch fremdenfeindliche Witze aufgefallen ist, jedoch abgewimmelt; nun macht sie sich Vorwürfe. Davon abgesehen geht ihr eine Bemerkung Rebeccas nicht mehr aus dem Kopf: "Es ist größer, als ich dachte."

Trotzdem könnte sich "Nichts als die Wahrheit" noch zu einem gewöhnlichen Krimi entwickeln, aber schon die Einführung Bonards lässt erahnen, dass es um mehr geht: Während einer simulierten Vernehmung ist ausgerechnet der Sohn von Akademiedirektor Lompert (Jörg Pose) gewalttätig geworden. Der Vater will den Vorfall als Ausrutscher behandeln und spricht von innovativen Lehrmethoden des Seminarleiters (Thomas Niehaus). Als Bonard allzu hartnäckig auf einer Untersuchung besteht, legt Lompert ihr den vorgezogenen Ruhestand nahe. Dank ihrer Kontakte zur Berliner Polizeipräsidentin tritt sie stattdessen die Nachfolge von Karows Kollegin Rubin an, um den Tod von Rebecca Kästner aufzuklären; anschließend will sie in Rente gehen. Für Karow ist der Fall allerdings klar, er verdächtigt den Witwer (Bernhard Conrad), das Paar lebte getrennt und hat sich um das Sorgerecht für den gemeinsamen kleinen Sohn gestritten. Doch dann stellt sich raus, dass die Polizistin belastendes Material gegen ihre Dienstgruppe gesammelt hat. Selbst das ist jedoch bloß die Spitze eines Eisbergs, der immer gewaltigere Ausmaße annimmt. Als Karow und Bonard einer Verschwörung auf die Spur kommen, stellt der Staatsschutz ein Stoppschild auf: Verfassungsschützer Reitemeier (Tilo Nest) verweist auf die nationale Tragweite, doch das hat TV-Kommissare noch nie davon abgehalten, weiter zu ermitteln.

Die Umsetzung als Zweiteiler ist vollkommen angemessen, zumal Wenzel und Kolditz auf diese Weise Zeit genug haben, um wichtige Nebenebenen angemessen zu würdigen. Clever werden die entsprechenden Handlungsstränge zunächst bloß angerissen: hier eine vor allem im Ausland aktive Sicherheitsfirma, deren Chef (Sebastian Hülk) der getöteten Polizistin einen Job angeboten hat, dort ein Bauunternehmer (Jörn Hentschel) mit Herz für Flüchtlinge, schließlich die dubiosen Aktivitäten Reitemeiers, der seine Spitzel zwar überall hat, aber nicht sicher sein kann, auf wessen Seite sie tatsächlich stehen.

Interessant ist auch der persönliche Hintergrund. Während das wenig ersprießliche Privatleben von Rubin oft eher Ballast als sinnvolle Ergänzung war, sorgt diese Ebene nun für eine echte Bereicherung: Bonard, LKA-Legende sowie Autorin eines Standardwerks über "Polizeiarbeit im Rechtssystem", und ihr Mann Kaya Kaymaz (Ercan Karaçayli) pflegen einen sehr sympathischen gemeinsamen Sinn für Humor. Der Gatte ist zudem Richter, was die Gespräche auch fachlich interessant macht.

Obwohl das Ensemble zwei Dutzend wichtige Rollen umfasst und das Drehbuch viele sensible Szenen vorsieht, gibt es keinen einzigen darstellerischen Ausreißer nach unten, auch nicht in den schwierigen Momenten, als Karow einen Draht zu Rebeccas vierjährigem Sohn sucht, weil der kleine Matti Zeuge des Mordes war (Regie: Robert Thalheim). Die Handlung sorgt mit ihren beunruhigend plausibel anmutenden Erkenntnissen, die jeweils wieder neue Fragen aufwerfen, ohnehin ständig für Verblüffung. Dass eine mit sämtlichen wichtigen Film- und Fernsehpreisen geehrte Schauspielerin wie Corinna Harfouch eine Rolle als "Tatort"-Kommissarin annimmt, zeigt, welch’ enorme Strahlkraft dieser Sendeplatz nach wie vor hat. Den zweiten Teil zeigt die ARD morgen um 20.15 Uhr.