TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Ronny"

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19. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Ronny"
Krimis, in denen Kinder verschwinden, stellen eine besondere Herausforderung dar. Solche Filme gehen nicht nur Eltern an die Nieren; Gewalt gegen Kinder ist für viele Menschen kaum auszuhalten.

Die Geschichten werden daher in der Regel mit größter Behutsamkeit erzählt. Das gilt auch für diesen "Polizeiruf" aus Magdeburg mit dem schlichten Titel "Ronny". Titelfigur ist ein Junge, der seine Kindheit größtenteils in einem Heim verbracht hat; seine Mutter, Sabine, hing damals an der Nadel. Als Ronny drei Jahre alt war, hat sie ihn mal so lange allein gelassen, dass er fast verdurstet wäre. Die Handlung beginnt mit seinem Geburtstag. Ronny wird zehn und bekommt tolle Geschenke, darunter eine Angel und ein Fahrrad, aber er wartet sehnsüchtig auf Sabine (Ceci Chuh). Schließlich setzt er sich aufs Rad und fährt zu ihr. Ihr Präsent ist eine Drohne, die er gleich mal im Wohnzimmer ausprobiert, was dem neuen Lebensgefährten der Mutter ziemlich auf die Nerven geht. Weil "Ronny" auch ein Sozialdrama ist, wird der Mann handgreiflich: erst gegen das Gerät, dann gegen den Jungen. Am späteren Abend meldet ihn das Kinderheim als vermisst.

Wie zu erwarten bietet der Film alles andere als kurzweilige Unterhaltung. Die Bilder sind so düster wie die Geschichte, die spätwinterlichen Temperaturen sorgen für eine buchstäblich frostige Atmosphäre, fröhliche Farben sind von Kostüm- und Szenenbild konsequent ausgespart worden, und auch die Musik verbreitet kein Wohlbehagen. Ähnlich wie die ZDF-Reihe mit Heino Ferch über die authentischen Fälle von Ingo Thiel wirkt "Ronny" daher fast wie eine "True Crime"-Dokumentation; der Film könnte wie auch schon 2017 der erste Thiel-Krimi "Ein Kind wird gesucht" heißen. Alsbald konzentrieren sich die Ermittlungen auf den Erzieher Matthias Precht (Thomas Schubert), nachdem Gordon, der Sohn von Heimleiterin Gaby Kleinschmidt (Maja Schöne), angedeutet hat, dass ihn der Mann vor einigen Jahren sexuell missbraucht hat; und so wird Gordon zur Schlüsselfigur.

Die entsprechende Szene trägt sich exakt zur Filmmitte zu, der Fall scheint gelöst, zumal sich der Erzieher in Widersprüche verwickelt; diverse Indizien sprechen ohnehin gegen ihn. Gordon rückt nun immer stärker ins Zentrum der Geschichte. Umso entscheidender war die Besetzung dieser Rolle. Valentin Oppermann, kein Neuling, aber bislang auch noch nicht nachhaltig aufgefallen, wandelt in seiner Rolle auf einem schmalen Grat. Gordon will kein Opfer sein, was sich nachvollziehen lässt; gleichzeitig lässt Oppermanns Spiel subtil erahnen, dass der 15 oder 16 Jahre alte Teenager nicht die Wahrheit sagt. In dieser Hinsicht orientiert sich das Drehbuch am üblichen Krimischema: Für den Chef (Felix Vörtler) ist die Sache mit Prechts Verhaftung erledigt, aber Doreen Brasch glaubt nicht, dass der Erzieher Ronny etwas angetan hat. 

Ausgerechnet Hauptdarstellerin Claudia Michelsen fällt allerdings aus dem betont sachlichen Rahmen: Ihre schmerzerfüllten Blicke passen nicht zu der kühlen Kontrolliertheit, die die Kommissarin sonst an den Tag legt. Einmal rastet sie regelrecht aus, als die Leiterin der Wasserrettung den Einsatz eines Leichensuchhundes empfiehlt, weil Ronny in einem Video angekündigt hat, er wolle abends noch angeln gehen. Der Film begründet die Betroffenheit Braschs mit einem früheren Fall, bei dem es ihr nicht gelungen war, einen verschwundenen Achtjährigen zu finden. Hinzu kommt, dass sie das Kinderheim aus eigener Anschauung sehr gut kennt, was die Handlung um ein interessantes biografisches Detail ergänzt. Möglicherweise schwingen auch ihre frustrierenden Erfahrungen als Mutter eine Rolle, schließlich ist ihr der eigene Sohn völlig entglitten. Drehbuchautor Jan Braren nutzt die Kleinfamilie Kleinschmidt, um die Angst vieler Eltern zu spiegeln, ihre Kinder könnten sich komplett von ihnen entfremden: Dass die Mutter Gaby nicht mehr zu ihrem Sohn durchdringt, liegt nicht nur an dessen Kopfhörern.

Auch in diesen Szenen ist Oppermann unangenehm glaubwürdig. Sein Spiel erinnert an Jannis Niewöhner, mit dem Regisseurin Barbara Ott ihren Debütfilm "Kids Run" (2020) gedreht hat, ein intensives, dreckiges Drama über einen ehemaligen Amateurboxer, der um seine Kinder kämpft. Grimme-Preisträger Braren ("Homevideo") hat neben "Lotte am Baumhaus" unter anderem zwei ungewöhnliche "Tatort"-Drehbücher für Maria Furtwängler geschrieben ("Das verschwundene Kind", "Der Fall Holdt"). "Ronny" ist nach "Der Verurteilte" (2020) sein zweiter "Polizeiruf" aus Magdeburg.