Ist digital besser?

© Gunnar Schuz-Achelis
Tim Arnold de Almeida (links) und Prof. Dr. Holger Sievert (rechts) haben auf der Jahrestagung Netzwerk Öffentlichkeitsarbeit ihre Expertise geteilt.
Öffentlichkeitsarbeit in Kirche
Ist digital besser?
Braucht es noch die klassische Pressemitteilung für die Zeitung? Und wenn ja, wer soll dann auch noch die ganzen Social Media-Kanäle betreuen? Das Netzwerk Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt sich auf seiner Jahrestagung mit dem Weglassen.

"Wenn ich es schaffe, dass meine Pressemitteilung über unsere Trauaktion - womöglich noch mit einem Bild von einem Hochzeitspaar - in der Regionalzeitung abgedruckt wird, erreiche ich 100.000 Menschen! Ähnlich ist es mit dem Zuspruch vom Dekan im Radio. Gleichzeitig weiß ich, dass das so gut wie keine jungen Leute sind. Wenn ich aber auch noch Zeit für Social Media-Arbeit finden soll, muss ich etwas anderes weglassen. Aber ich kann doch nicht auf diese Reichweiten verzichten. Was soll ich tun?"

So ähnlich formuliert es eine Kollegin aus der Kommunikationsabteilung eines Kirchenkreises auf der 56. Jahrestagung des bundesweiten evangelischen Netzwerks Öffentlichkeitsarbeit in Augsburg. Und das nicht ohne Grund. Das Thema der in Kooperation mit dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik veranstalteten Tagung lautet nämlich: "Let it be - die Kunst des Weglassens." Die Arbeit habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, sagt dessen Vorsitzender Johannes Killyen bei seiner Begrüßung. "Wir stehen vor der Herausforderung, die Öffentlichkeitsarbeit in unseren Arbeitsbereichen dem rasanten digitalen Wandel anzupassen. Zugleich können wir auf dieser Fahrt in unruhigen Gewässern nicht einfach bewährte Kommunikationsinstrumente über Bord werfen", so Killyen weiter. Damit fasst er den Zwiespalt zusammen, in dem sich viele Menschen aus den kirchlichen Kommunikationsabteilungen derzeit befinden. Nicht umsonst haben sich die Mitglieder des Netzwerks selbst dieses Tagungsthema gewählt.

Besonders passend ist dabei der Verweis auf den Beatles-Song "Let it be" im Tagungstitel: Ist doch überliefert, dass Paul McCartney als Urheber des Songs die opulente Produktion des gesamten gleichnamigen Albums von Phil Spector gehasst habe, weil er sie als überladen empfand. Schlussendlich wurde es 2003 auch als "Let it be… naked" erneut veröffentlicht – ohne die von Spector hinzugefügten Chor- und Orchesteraufnahmen.

Künstliche Intelligenz ethisch anwenden

Wie aber nun in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit mit dem Problem umgehen? Einfach etwas weglassen erzeugt kein Wachstum. Und Priorisierung ist noch keine Strategie – so warnt Tim Arnold de Almeida bereits im Titel seiner Keynote. Er ist Partner bei der Strategieberatungsfirma Oliver Wyman und hat Erfahrungen nicht nur mit Unternehmen, sondern auch mit staatlichen, öffentlichen und nicht zuletzt auch kirchlichen Institutionen gesammelt. "Wir priorisieren alle ständig, den ganzen Tag", so Arnold de Almeida. Das habe aber noch nichts mit dahinterstehenden Strategien zu tun. Wenn nun Entscheidungen aufgrund von definierten, messbaren Zielen getroffen würden, sei auch dies noch keine Strategie, höchstens eine Marschrichtung. Strategisches Handeln zeichne sich vielmehr dadurch aus, dass kontinuierlich analysiert, überprüft und flexibel nachgesteuert werde, weil ein Set von Handlungsalternativen erarbeitet wurde. Das müsse aufgrund von gründlicher Analyse geschehen, die sogenannte "Freiburger Studie" und eine Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung alle zehn Jahre reichten da möglicherweise nicht aus, so seine Einschätzung. Auch müssten Lernprozesse verbessert und Innovation beschleunigt werden. Im kirchlichen Kontext bedeute das zum Beispiel, so Arnold de Almeida, auszuleuchten, wie neue Technologien, etwa künstliche Intelligenz, ethisch angewendet werden könnten.

Tim Arnold de Almeida ist Partner bei der Strategieberatungsfirma Oliver Wyman.

Zu den beiden letztgenannten Punkten weiß nun Holger Sievert einiges zu berichten. Er ist Professor für Kommunikationsmanagement an der Kölner Hochschule Macromedia und Mitautor mehrerer Studien aus dem Bereich Kirche und Digitalisierung. Sein Vortrag kreist um die Frage, ob vielleicht das Analoge einfach zugunsten des Digitalen weggelassen werden sollte? Dazu hat er eine Reihe interessanter empirischer Befunde zusammengetragen. Die erste Erkenntnis, die kaum jemand bestreiten würde, lautet: Digitalisierung wird gesamtgesellschaftlich immer wichtiger. Dies gilt allerdings auch und – für viele überraschend – sogar besonders für Menschen, die sich der Kirche verbunden fühlen. Diese nutzen das Internet sogar noch mehr als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Denn, so das zweite Ergebnis seiner Forschungen: Digitalisierung ist auch nicht mehr primär ein Altersthema – sondern in allen Altersgruppen verbreitet, bei Kirchenmitgliedern sogar besonders stark bei den Älteren. Diese Digitalisierung erfolge privat zunehmend über Social Media, so Sievert weiter. Bei kirchennahen Menschen gäbe es dabei die Besonderheit, dass offenbar die Plattform Instagram noch stärker genutzt werde als Facebook, das in der Gesamtbevölkerung noch immer an erster Stelle liegt.

Menschen folgen Menschen

Wichtig sei dabei aber, dass bei der religiösen Digitalisierung der persönliche Bezug – egal ob lokal-regional oder virtuell – eine große Rolle spiele: Menschen folgten Menschen, nicht aber Kirchenkreisen. Und schließlich sei Hybridität stark gewünscht – wie zum Beispiel bei der Übertragung von Online-Gottesdiensten.

Bleibt aber nun bei alledem die Frage: Was denn nun weglassen? Das Analoge? Da haben die beiden Referenten überraschend klare Empfehlungen auf Lager. Tim Arnold de Almeida sagt: "Fragen Sie Ihre Adressaten!" Was das Zielpublikum brauche, das müsse die Richtschnur sein – und eben auch, was es nicht wolle. Noch besser als Weglassen sei dabei Vereinfachung: Das Wissen teilen, sich an der Wirkung orientieren und dabei im Team kooperieren und Ergebnisverantwortung übertragen. So könnten zum Beispiel aufwändige bürokratische Freigabeprozesse auf den Prüfstand. Eine kontinuierliche Verbesserung sei im Übrigen nicht hierarchisch-arbeitsteilig zu erreichen, so der Strategieberater weiter. Und Professor Sievert leitet aus seinen Forschungsergebnissen ab, dass es nicht um das Weglassen des Analogen gehe. Vielmehr müsse das Weglassen von Analogem zugunsten von Digitalem auf einem hybriden Weg in Angriff genommen werden.

Was das konkret bedeutet – zum Beispiel für die Kollegin mit ihrer Trauaktion und dem Hochzeitspaar? Zuerst einmal raten die beiden Referenten, zu überprüfen, ob von 100.000 Zeitungslesenden auch wirklich ein nennenswerter Teil die Meldung zur Trauaktion wahrnimmt. Schließlich gäbe es in der entsprechenden Region auch grob geschätzt 800.000 potenzielle User:innen, die das Ganze auf Facebook beispielsweise finden könnten. Das Ziel müsse sein, herauszufinden, welche Kanäle die Menschen, die man erreichen möchte, wirklich nutzten. Vor allem aber müssten sich in so einem Fall die beiden Medien gar nicht ausschließen. Schließlich könne man das gleiche Bild des Hochzeitspaars nicht nur in der Zeitung abdrucken, sondern es wunderbar auch auf Facebook oder Instagram posten.

Aber dann wiederum wäre ja nichts weggelassen, sondern trotzdem zusätzliche Arbeit entstanden – so der berechtigte Einwand. Darauf folgt die salomonische Empfehlung vom Podium: "Weglassen von Analogem" müsse ja nicht das komplette Ignorieren von bestimmten Kommunikationskanälen sein, sondern sollte vielmehr das Weglassen von Themen sein. So habe sich gezeigt, dass rund ein Drittel der kirchlichen Kommunikation eigentlich kircheninterne Themen behandle, die häufig für das Gros der Adressierten gar nicht interessant seien.
Damit würde dann schließlich doch buchstäblich die Redensart wahr: Weniger ist mehr! Eine These, die nicht nur Paul McCartney unbedingt unterstützen würde.