TV-Tipp: "Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterben"

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21. Februar, RTL, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterben"
Ein zweiter Film hat gegenüber dem ersten einen zwangsläufigen Nachteil: Ihm fehlt der Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Hollywood pflegt dieses Manko durch deutlich höhere Produktionsbudgets zu kompensieren.

 Deutsches Fernsehen hat diese Möglichkeit meist nicht. Der zweite "Sonderlage"-Krimi wirkt im Gegenteil, als habe Regisseur Andreas Senn deutlich weniger Geld zur Verfügung gestanden. Durch die vielen Außenaufnahmen im Hamburger Hafen hatte Teil eins, "Der Angriff", ohnehin eine sehr aufwändige Anmutung. "Das Kind wird sterben" trägt sich dagegen größtenteils an drei Schauplätzen zu. Die Szenen im Präsidium sind zudem höchstwahrscheinlich zusammen mit den entsprechenden Gesprächen aus dem ersten Film gedreht worden. Da sich Polizeiführerin Verena Klausen (Henny Reents) nach wie vor gegen ihre internen Gegenspieler behaupten muss, wirken die Auseinandersetzungen fast wie eine Wiederholung: Björn Busskamp (Lasse Myhr), Chef der Mordkommission, denkt nur an die eigene Karriere, der Polizeipräsident (Sven Gerhardt) will vor allem positive Schlagzeilen, und der Innensenator (Frederik Schmid) hat diesmal ein ganz persönliches Interesse.

Allen Widrigkeiten zum Trotz hat Klausen erneut die Befehlsgewalt: Der achtjährige Sohn eines der reichsten Männer Deutschlands ist entführt worden. Klausen hat Frederik Thalfort (Moritz Führmann) in Sicherheitsfragen beraten, deshalb ist es sein ausdrücklicher Wunsch, dass sie die Einsatzleitung übernimmt. Einige Mitglieder ihres Stabs, darunter die Psychologin und die Verhandlungsführerin (Annette Paulmann, Banafshe Hourmazdi), nisten sich in Thalforts luxuriöser Villa ein; Klausen bleibt in der Zentrale, wo alle Fäden zusammenlaufen. Dritter Handlungsort ist ein verfallenes Haus irgendwo auf dem Land, wo der Junge gemeinsam mit dem portugiesischen Kindermädchen Mariana (Soma Pysall) gefangen gehalten wird. Die Spannung des Films resultiert natürlich aus der Frage, ob es gelingen wird, die beiden zu befreien, zumal sie zwischendurch vorübergehend fliehen können, aber davon abgesehen fesselt die Handlung vor allem durch die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Erneut ist es ausgesprochen faszinierend, wie Klausen aus dem Wust an optischen Informationen die richtigen Schlüsse zieht und Verbindungen herstellt. Auf diese Weise findet sie raus, dass es außer dem Pärchen, das Mariana und den kleinen Jasper beim Arztbesuch entführt hat, noch einen Mittäter gibt. 

Neben den an Mobbing grenzenden Sexismen der Männer gibt es eine weitere Parallele zum ersten Film: Auch diesmal wird Klausen von einem Mitglied ihres Stabs hintergangen. Beim letzten Mal hat eine LKA-Polizistin (Zoë Valks) Busskamp mit Informationen versorgt, nun verschweigt ein Kollege (Jan Andreesen), dass der Komplize (Campbell Caspary) des Pärchens einst V-Mann für den Staatsschutz war. Anders als der Mastermind und seine professionell geplante konzertierte Aktion aus "Der Angriff" geht das Trio allerdings dilettantisch vor. Das wiederum gibt Norbert Eberlein, der auch das zweite Drehbuch geschrieben hat, die Gelegenheit für diverse Streitereien, denn die junge Frau hat im Unterschied zu den beiden Männern idealistische Motive: Dem einen geht’s nur ums Geld, der andere ist Teil eines finsteren Komplotts. Mit diesem Aspekt hievt Eberlein die Handlung doch noch auf eine Ebene, die weit über die bloße Entführung hinausgeht; wenn auch erst gegen Ende. 

Unterm Strich bleibt dennoch der Eindruck, als habe RTL viel Geld in den Auftakt investieren lassen, sodass für Teil zwei bloß noch ein normales Fernsehfilmbudget übrig geblieben ist. Der ständige Wechsel der optischen Ebenen führte im ersten Teil fast automatisch zu einer gewissen Dynamik; diesmal sorgen allein gelegentliche flotte Drohnenflüge für Rasanz. Auch die Handlung ist längst nicht so dicht. Ein inhaltsarmer Monolog des ehemaligen V-Manns ist viel zu lang, und das Beziehungsgeplänkel der LKA-Beamtin, die nun eine Affäre mit Busskamp hat, ist für die Wahrheitsfindung völlig irrelevant. Dass das ansonsten perfekt informierte Kidnapping-Trio das Kindermädchen für die Mutter des Jungen hält, ist dramaturgisch ebenso fadenscheinig wie die echten Handschellen, mit der der anfangs als Polizist verkleidete Jasper die Frau an sich kettet. Die sorgfältige Bildgestaltung ist dagegen nach wie vor sehenswert, auch die Mitwirkenden sind ausnahmslos überzeugend, und vermutlich würde das Urteil weniger streng ausfallen, wenn "Der Angriff" nicht eine Nummer größer und besser gewesen wäre.