Verleugnete Opfer der NS-Zeit

Fotoausstellung in KZ Sachsenhausen
© epd-bild/Christian Ditsch
Die brandenburgische KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zeigt Portraits von sechs der über 13.000 ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Gelände. Auch Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und andere vergessene NS-Opfer waren hier inhaftiert.
Angehörige organisieren sich
Verleugnete Opfer der NS-Zeit
Sie waren vergessene und verleugnete Opfer der NS-Herrschaft - sogenannte "Asoziale" und "Gewohnheitsverbrecher". Jetzt will sich ein Verband der Angehörigen gründen, um diese Menschen aus dem Schatten der Geschichte zu holen.

Bei Frank Nonnenmacher aus Frankfurt am Main war es der Onkel, bei Ines Eichmüller aus Nürnberg der Opa: Mitglieder der Familie, die unter den Nationalsozialisten als sogenannte "Asoziale" oder "Gewohnheitsverbrecher" in die Konzentrationslager verschleppt wurden. In vielen betroffenen Familien ein Tabuthema, ebenso wie in der heutigen Gesellschaft.

Vor drei Jahren beschloss der Bundestag, diese Menschen endlich als NS-Opfergruppe anzuerkennen. In Nürnberg soll nun ein Verband der Angehörigen gegründet werden. "Wir wollen in der Erinnerungskultur präsent sein", erklärt der Mitinitiator und emeritierte Professor Nonnenmacher.

Stand der Holocaust an den europäischen Juden am Anfang der Aufarbeitung, erkämpften sich nach und nach auch andere Opfergruppen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit: Kommunisten, Christen, Sinti und Roma oder Homosexuelle. Nahezu vollständig ausgeblendet aus Erinnerung, Forschung und Wiedergutmachung aber waren die Träger des schwarzen oder grünen Winkels in den KZ: Mit ihnen kennzeichneten die Nazis die "Asozialen" und "Berufsverbrecher".

Dass diese Menschen bisher kaum gesehen wurden, hat auch mit der Einschätzung von Überlebenden der Konzentrationslager zu tun. Eugen Kogon, der das KZ Buchenwald überlebte, schrieb in seinem Buch "Der SS-Staat", von "üblen, zum Teil übelsten Elementen", die andere Häftlinge schikanierten. Wer den grünen Winkel trug, stand in der Rangfolge der KZ-Gefangenen ganz unten. "Ein großer Teil dieser Menschen war so, dass man die Umwelt tatsächlich vor ihnen schützen musste", schrieb die Wiener Ärztin Ella Lingens, selbst Gefangene in Auschwitz.

Konkurrenz im Kampf um Entschädigung

Erst spät nahm sich die historische Forschung dieses Themas an und begann ein differenziertes Bild dieser Opfergruppe zu zeichnen. Zum Beispiel von den "vergessenen Frauen von Aichach". Aus dem größten bayerischen Frauengefängnis wurden ab 1943 mindestens 326 Frauen nach Auschwitz deportiert, wo die meisten innerhalb weniger Wochen umkamen. Dabei handelte es sich um Gefangene in Sicherheitsverwahrung - Frauen, die wegen kleiner Diebstähle, Abtreibungen, Prostitution oder Betrugs mehrfach verurteilt waren.

###galerie|148165|Die Konzentrationslager der Nazis###

Über die Nachkriegszeit schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags: "Tatsächlich fand die Diskriminierung der 'Asozialen' in den Lagern durch das Aufsichtspersonal und die Mithäftlinge ihre Fortsetzung in der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Opfergruppen in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften." Eine organisierte Interessenvertretung für diese NS-Opfer habe es nie gegeben. "Die nach Kriegsende rasch gegründeten Opferverbände erkannten ehemalige 'asoziale' und 'kriminelle' Mithäftlinge nicht als Leidensgenossen an und lehnten es ab, sie als Mitglieder aufzunehmen oder deren Interessen wahrzunehmen. Vielmehr wurden sie als lästige Konkurrenten im Kampf um Anerkennung und Entschädigung empfunden."

Einfluss besser geltend machen

Demgegenüber stellte der Bundestag nach 75 Jahren fest: Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält und ermordet. Das war der Initiative Nonnenmachers zu verdanken, der eine Petition auf den Weg gebracht hatte.

"Der Bundestag hat beschlossen, dass die jahrzehntelange Vernachlässigung der Forschung angegangen wird, aber wo bleiben dafür die finanziellen Mittel?", beschreibt Nonnenmacher den Auslöser für die Gründung des Angehörigenvereins. Als Verband könne man mehr politischen Einfluss geltend machen. Ungeklärt sei auch die Erforschung der Verfolgungsinstanzen, etwa welche Rolle die Kriminalpolizei gespielt habe.

Ein Problem auf dem Weg zur Organisation ist auch die Sprache. Die NS-Begriffe "Asoziale" oder "Gewohnheitsverbrecher" wolle man nicht benutzen. "Verband für die verleugneten NS-Opfer" sei ein Vorschlag, erklärt Nonnenmacher. Denn sie seien verbal jahrzehntelang verleugnet worden, auch in den betroffenen Familien. Deren Angehörige hat Nonnenmacher aufgerufen, sich an der Verbandsgründung in Nürnberg zu beteiligen.