TV-Tipp: "Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus’ geht"

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22. November, 3sat, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus’ geht"
Als das Berliner "Tatort"-Duo Nina Rubin und Robert Karow vor sieben Jahren seinen ersten Fall löste, war die Zusammenarbeit zunächst von Misstrauen geprägt, denn der Kollege stand angeblich auf der Lohnliste eines mächtigen Kartells.

Das gab der Arbeitsbeziehung eine gewisse Würze. Der Wahrheitsfindung weit weniger dienlich waren hingegen die ausgiebigen Ausflüge ins Privatleben der Kommissarin. Für dieses Manko hat der RBB eine clevere Lösung gefunden: Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) entwickelten Gefühle füreinander. Das Misstrauen jedoch blieb, zumal sich offenbar beide nicht über ihren Beziehungsstatus im Klaren sind, was Günter Schütter in seinem ersten "Tatort"-Drehbuch seit dem famosen Münchener Krimi "Frau Buch lacht" 1995 weidlich auf die Spitze treibt: Rubin nimmt sich einer Frau an, die mit einem russischen Clanchef verheiratet ist und aussteigen will. Auf Geheiß ihrer Vorgesetzten (Nadeshda Brennicke) soll die Hauptkommissarin den Kollegen allerdings nicht einweihen, denn Yasha Bolschakow (Oleg Tikhomirov) hat seine Maulwürfe überall.

"Das Mädchen, das allein nach Haus’ geht" ist Rubins letzter Fall, und Schütter hat sich einen würdigen Abschied für sie ausgedacht. Die Handlung beginnt mit einem grausigen Fund in der Spree: Die kopflose männliche Leiche ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt; die entsprechenden Details sind ziemlich unappetitlich. Fest steht: Der Mann ist zu Tode geprügelt worden. Während Karow versucht, die Identität des Opfers rauszufinden, wird Rubin von einer Frau angesprochen: Julie Bolschakow (Bella Dayne) ist bereit, der Polizei Informationen über die Geschäfte der mächtigen Familie ihres Gatten zu liefern; im Gegenzug möchte sie ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Karow spürt rasch, dass Kollegin Rubin etwas vor ihm verbirgt. Außerdem findet er raus, dass der Tote ein Kollege war, der als verdeckter Ermittler für die Abteilung Organisierte Kriminalität gearbeitet hat und auf die Bolschakows angesetzt war. Das Duo vom LKA zieht zwar auch weiterhin am selben Strang, aber in unterschiedliche Richtungen.

Die Geschichte bringt alles mit, was einen großen Film ausmacht, aber das ist angesichts der Meriten des Autors nicht weiter überraschend: Schütter hat viele Drehbücher für Dominik Graf geschrieben; für "Der scharlachrote Engel", einen "Polizeiruf" aus München, sind beide 2006 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Den "Tatort" hat allerdings Ngo The Chau inszeniert, und das ist durchaus mehr als nur eine Bemerkung wert. Der renommierte Kameramann hat bereits mit seinem Regiedebüt, "Schneewittchen und der Zauber der Zwerge" (2019, ZDF) unter Beweis gestellt, dass er nicht nur hochklassige Bilder zaubern kann. Es folgten zwei weitere ZDF-Märchen ("Die Hexenprinzessin", "Zwerg Nase", 2020/21) sowie kürzlich für die ARD die sehenswerte "Zimmer mit Stall"-Episode "So ein Zirkus". "Das Mädchen, das allein nach Haus’ geht" – der Titel bezieht sich auf eine Bemerkung Julie Bolschakows – ist sein erster, aber garantiert nicht sein letzter Krimi. 

Dass der gleich dreimal mit dem Deutschen Fernsehpreis für die Beste Kamera geehrte Ngo The Chau optische Akzente setzen würde, war klar; mehrfach sorgen kleine Eingriffe ins Bildtempo oder knallige Farben für wirkungsvolle Effekte. Sehenswert ist jedoch auch die Arbeit mit dem Ensemble. Das gilt vor allem für die Episodenhauptdarstellerin: Bella Dayne ist eine ziemlich aufregende Entdeckung fürs hiesige Fernsehen. Der "Tatort" ist zwar die erste deutschsprachige Produktion der gebürtigen Berlinerin, aber sie bringt die Erfahrung diverser internationaler Rollen mit; unter anderem hat sie in "Troja – Untergang einer Stadt" (2018), eine BBC/Netflix-Koproduktion, die weibliche Hauptrolle der Helena gespielt. Als Titelfigur von Rubins letztem Fall kommt ihr eine besondere Rolle zu, denn zwischen den beiden Frauen entsteht mehr als nur Freundschaft.

Die entsprechenden Zwiegespräche entwickeln eine ähnlich hohe Intensität wie ein Monolog Karows, als er in einer Bar die Ermordung des Kollegen rekonstruiert, oder eine verstörende Parallelmontage zwischen einem erzwungenen Beischlaf und den Rücklenden vom Tötungsdelikt. Der ohnehin ohne Atempause fesselnde Film mündet in einen packenden letzten Akt, als Rubin und Julie vor den Schergen des Clanchefs durch das unübersichtliche Tunnelsystem unterm Flughafen fliehen. Neben der Bildgestaltung hat auch die Musik (Dürbeck & Dohmen) großen Anteil an der Hochspannung des dramatischen und schließlich tragisch endenden Finales.