TV-Tipp: "Solo für Weiss – Todesengel"

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31. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Solo für Weiss – Todesengel"
Jedes Drehbuch ist ein Wettbewerb, erst recht in einem vielgespielten Genre wie dem TV-Krimi: weil das Publikum stets aufs Neue gewonnen werden muss.

Beiträge zu beliebten Reihen und Serien haben einen gewissen Vorsprung, aber der ist rasch aufgebraucht, wenn eine Geschichte nicht fesselnd oder originell genug ist. Bei der Herausforderung bleibt es trotzdem, denn gerade beim Krimi liegen Autorinnen und Autoren zudem stets im Wettstreit mit ihren Figuren. Auch deshalb sind in diesem Genre die Serienmorde so beliebt, weil alle Beteiligten beweisen können, wie raffiniert sie sind: die Täter (in der Tat fast immer Männer), die Ermittlungsteams und natürlich auch die Menschen, die sich das alles ausgedacht haben. Im besten Fall ist das Ergebnis ein fesselnder Thriller; mitunter ergötzen sich die Beteiligten auch allzu sehr an der eigenen Cleverness. Davon kann bei "Todesengel", dem siebten Fall für Nora Weiss (Anna Maria Mühe), keine Rede sein: Die falsche Fährte, auf die Mathias Klaschka Hauptfigur und Publikum lockt, ist ziemlich raffiniert.

Klaschka, Autor der herausragend guten ZDF-Reihe "Kommissarin Heller", war mit einer Ausnahme an allen "Solo für Weiss"-Filmen beteiligt. Zwei der drei Drehbücher, die er allein verfasst hat, lagen allerdings unter dem Durchschnitt der Reihe. "Das letzte Opfer" (2021), als die Zielfahnderin vom LKA Kiel durch den Suizid ihres Chefs einem Serienmörder auf die Spur kam, war dagegen Thriller pur. "Todesengel" führt diese Qualität nahtlos fort. Der Film beginnt mit der Ermordung eines harmlosen älteren Herrn, der gern die Website einer jungen Frau besucht. Princess J, wie sie sich nennt, ist angeblich 26; in Wirklichkeit handelt es sich um die 16jährige Schülerin Jessica (Lieselotte Voss), die sich mit den freizügigen Darbietungen ihr Taschengeld aufbessert. An diesem Abend wird der Zeitvertreib des alten Herrn jäh gestört. Der Professor für Psychiatrie wird gefesselt und in seiner Badewanne ertränkt. Der Mörder hat eine Signatur hinterlassen, einen Chip, wie er in Spielcasinos verwendet wird. Kurz drauf stirbt ein Kita-Leiter unter ganz ähnlichen Umständen. Auch er war ein Fan von Princess J, auch hier findet sich ein Chip. Beide Opfer haben identische Drohnachrichten bekommen: Sie sollen ihre digitalen Besuche bei der Prinzessin umgehend einstellen. Der Absender der Mails ist rasch gefunden: Jessicas Vater (Tobias Oertel), ein verwitweter Taxifahrer, der nur wenig Zeit für seine Tochter hat, ist verständlicherweise wenig begeistert über den Nebenerwerb des Mädchens. Als in seinem Taxi ebenfalls einen Chip entdeckt wird, ist der Fall für LKA-Chef Geissler (Peter Jordan) gelöst. Der Film ist allerdings noch lange nicht vorbei; Nora hat ohnehin Zweifel an der Schuld des Vaters. 

Anna Maria Mühes bisheriger Partner, Jan Krauter, ist mittlerweile Hauptdarsteller einer eigenen Reihe ("Lost in Fuseta", ARD); er war als Stichwortgeber der Kollegin ohnehin unterfordert. Der Lübecker Kripo-Kommissar ist zu seiner Familie ins Ruhrgebiet zurückgekehrt. Nachfolger ist Ben Salawi (Camill Jammal), für den sich Klaschka eine interessante Biografie ausgedacht hat: Der junge Mann schießt, wie es heißt, gern übers Ziel hinaus, hat arabische Wurzeln, ist als Jugendlicher kurz auf schiefe Bahn geratet und war einige Jahre in einem Erziehungsheim. Damit ist "Todesengel" beim Kern der Handlung angelangt, denn die beiden Mordopfer hatten noch eine weitere Gemeinsamkeit; und dafür mussten sie offenbar büßen. Dritte auf der Todesliste ist ihre frühere Chefin (Leslie Malton), der es nun nichts mehr nützt, dass sie ihre Einrichtung, wie sie sagt, "mit Würde und Anstand" geführt hat.

Dummerweise hat Salawi vergessen, den zugesagten Polizeischutz zu aktivieren, weshalb es zum unausweichlichen, angemessen packend inszenierten und erschütternd endenden Finale kommt. Die Inszenierung besorgte Gunnar Fuß, einer der renommiertesten Kameraleute hierzulande, der seit einigen Jahren auch Regie führt; "Todesengel" ist sein erster Krimi. Die Optik ist hochwertig, das Nachtlicht ist eindrucksvoll. Die meisten Szenen hat Fuß in kühlem Blaugrau gefilmt; Ausnahmen bilden die Kindertagesstätte und Noras Wohnung. Auch die Arbeit mit dem Ensemble offenbart keinerlei Schwächen. Die Einführung des neuen Partners ist gleichfalls gelungen, selbst wenn Salawi mit seinen persönlichen Fragen an die Kollegin genauso auf Granit beißt wie der Vorgänger. Sehenswert ist der von einer guten Thriller-Musik (Florian Tessloff) angetriebene Film dennoch vor allem wegen der schon mit einer makabren Finte beginnenden Geschichte.