TV-Tipp: "Der Schiffsarzt"

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20.9., RTL, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Schiffsarzt"
Der Bordarzt Eric ist Blickfang und Schwarm auf dem Kreuzfahrtschiff. Doch eigentlich ist er auf der Suche nach seiner Frau, die spurlos verschwand.

Seltsam, dass zuvor kein anderer diese Idee hatte. Gerade die ARD-Tochter Degeto lässt ihre Helferinnen mit Herz an allen nur denkbaren Orten agieren, als Ärztinnen auf Mauritius oder Rügen ("Die Inselärztin", "Praxis mit Meerblick") zum Beispiel oder als Versorgungsassistentin eines Landarztes in der Eifel ("Die Eifelpraxis"). Aber auf ein Kreuzfahrtschiff ist noch niemand gekommen.

Natürlich ist der Schauplatz nicht neu, das ZDF lädt sein Publikum seit gefühlten Äonen auf entsprechende Fernwehausflüge ein ("Das Traumschiff", "Kreuzfahrt ins Glück"). Trotzdem richtet sich "Der Schiffsarzt" an ein etwas anderes Publikum. "Eifelpraxis"-Schöpferin Brigitte Müller, die auch als Produzentin an der sechsteiligen Serie beteiligt ist, hat überdies Rahmenbedingungen geschaffen, die die üblichen medizinischen Herausforderungen in einen fesselnden Zusammenhang betten.

Eric Leonhard (Moritz Otto), Notfallmediziner und Chirurg, vermisst seine Frau. Sarah (Sylta Fee Wegmann) ist vor knapp einem Jahr spurlos verschwunden, wie Rückblenden offenbaren; sie war im sechsten Monat schwanger. Weil die Polizei nicht weiterkommt, hat Eric einen Privatdetektiv beauftragt. Dem Mann ist ein Foto zugespielt worden, das erst vor wenigen Wochen aufgenommen worden ist und zweifelsfrei Sarah zeigt: auf einem Kreuzfahrtschiff. Also heuert Eric als Bordarzt an; und damit beginnt die Serie.

Clever kombinieren die Drehbücher (Folge vier stammt von Simon X. Rost) fortan die jeweiligen Episodenhandlungen mit den Ermittlungen; diese Ebene erinnert von Ferne an Sebastian Fitzeks gleichfalls für RTL-verfilmten Roman "Passager 23". Wie in allen "Medicals" sind die in sich abgeschlossenen Geschichten interessant, zumal sie stets eine dramatische Komponente haben. Spannender ist dennoch die Suche des Arztes nach Spuren, die seine Frau auf dem Schiff hinterlassen hat. Da er nicht weiß, wem er trauen kann, ist er weitgehend auf sich allein gestellt.

Immerhin weiht er Krankenschwester Emma (Eva Löser) ein. Wie in einer klassischen Arztgeschichte ist die junge Frau ziemlich in ihren attraktiven Chef verliebt, und weil die schöne Kapitänin Henriette Mosbach (Anna Puck) ebenfalls recht angetan vom schmucken Doktor ist, stünde der Dreiecksgeschichte nichts mehr im Wege; aber selbstredend hat Eric bloß Sarah im Kopf.

Der Reiz der personellen Konstellation liegt zudem in der Doppelbödigkeit, denn abgesehen von der loyalen Emma haben die zentralen Rollen allesamt mindestens ein zweites Handlungsmotiv: Henriette, die ihre Familie zurückgelassen hat, um ihren Traum zu leben, spürt, dass der neue Bordarzt etwas verheimlicht, und setzt ihren Sicherheitschef Pablo Ruiz auf den Doktor an. Philipp Christopher verkörpert den Mann allerdings auf eine Weise, die ihn eher wie einen Schurke wirken lässt. Und dann ist da noch Barmann Joshua (Frédéric Brossier), der gern mehr wäre als nur Henriettes Freund. Natürlich entgeht ihm nicht, wie die Kapitänin den Doktor anschaut; erst recht, als sie ihm am Strand begegnen.

Moritz Otto war früher Leistungssportler (Rudern) und hat die Figur eines Zehnkämpfers, ist aber nicht nur deshalb eine gute Besetzung: Empathie legt Eric nur an den Tag, wenn es um die Patientinnen und Patienten geht. Sie haben alle ihr Schicksal, weshalb er sich auch dann noch verantwortlich fühlt, wenn die Wunden verarztet sind. Das bringt ihm wiederholt einen Rüffel von Henriette ein, denn ihrer Ansicht nach verletzt er damit die Privatsphäre.

Beide, Otto wie Anna Puck, haben ihre wesentlichen schauspielerischen Spuren bislang im "Herzkino" des ZDF hinterlassen: In der Pilcher-Verfilmung "Von Tee und Liebe" (2020) hatte sie erheblichen Anteil daran, dass die sympathische Romanze sehenswert war. Otto hat zuletzt ebenfalls in einem Pilcher-Film eine in jeder Hinsicht gute Figur gemacht ("Vier Luftballons und ein Todesfall", 2022) und gehörte zuvor zum Ensemble der ZDF-Filmreihe "Gipfelstürmer – Das Berginternat" (2018/19).

Kaum bekannt, aber oft markant besetzt sind auch die Episodengäste. Eine weitere Hauptrolle spielt selbstredend das luxuriöse Schiff aus der TUI-Flotte; Regisseur Oliver Liliensiek und Kameramann Jochen Braune haben dafür gesorgt, dass der Touristikkonzern sein Entgegenkommen nicht zu bereuen brauchte (die Szenen in der Bordklinik sind im Studio entstanden). Immerhin ist bei den Rundflügen über die imposante schwimmende Kleinstadt wie auch bei den Ausflügen in spanische Gefilde auf schmalzige "Traumschiff"-Musik verzichtet worden.

Liliensiek hat zuletzt mehrere Filme für die ausgezeichnete ARD-Freitagsreihe "Käthe und ich" gedreht. An deren Relevanz reicht "Der Schiffsarzt" zwar nicht heran, aber für Medical-Fans ist die Serie durchaus empfehlenswert. Bilder wie etwa eine Szene mit einem blutüberströmten Baby sind allerdings nichts für schwache Nerven, und Henriettes Tochter Lisa (Martha Haberland) schneidet sich in der Kombüse versehentlich den halben Arm ab, als sie ihre Mutter in den Ferien besucht; dabei hatte sie sich Eric dank ihrer geballten "TKKG"- und "Die drei ???"-Erfahrung gerade erst als kompetente Hilfskraft angeboten. Als sich Eric schließlich nach einer überraschenden Nachricht Sarahs in sein Schicksal ergibt, schürt Henriette mit kriminalistischem Scharfsinn die Neugier auf die Fortsetzung. Ob es die geben wird, steht noch nicht fest. RTL zeigt heute und am 27. September jeweils drei Folgen.