Für eine friedlichere, ökumenischere Welt

Frank Muchlinsky (von links), Katrin Greschner und Markus Bechtold auf dem ÖRK in Karlsruhe.
© Frank Muchlinsky, evangelisch.de
evangelisch.de ist mitten im Geschehen der 11. Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe: Pfarrer und Redakteur Frank Muchlinsky (von links), Social Media-Redakteurin Katrin Greschner und Portalleiter Markus Bechtold. Gerade stärken sich die Delegierten und tauschen sich in der Pause aus. Schon bald wird in der Gartenhalle wieder vorgetragen und abgestimmt.
evangelisch.de beim ÖRK
Für eine friedlichere, ökumenischere Welt
Klimawandel, der Krieg in der Ukraine, Vergewaltigungen sind Themen, die auf der 11. Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe bewegen. evangelisch.de war zwei Tage vor Ort dabei und erzählt von den Eindrücken.

Markus Bechtold, evangelisch.de-Portalleiter: 

"Zeigen Sie mir sofort Ihren internationalen Presseausweis!", redet der Klima-Aktivist immer eindringlicher auf einen Mann ein, der stoisch mit einer Profi-Kamera die Protestierenden am Eingang zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe fotografiert. Eine zweite Kamera baumelt an seiner Schulter. Der Mann ist nicht als Medienvertreter erkennbar, antwortet auch nicht, sondern fotografiert unaufhörlich weiter. Er fotografiert, wie einzelne Aktivisten die ukrainische Flagge und Banner hochhalten, etwa mit Aussagen wie "Stop the war. Save Ukraine" oder "Our children want to live". Die Stimmung am Eingang scheint an diesem Morgen angespannter, auf dem Gelände selbst ist man freundlich. Man lächelt und ist aufmerksam einander zugewandt. Im Karlsruher Zoo nebenan geben griechische Riesenschildkröten ihren eigenen behutsamen Takt vor, Flamingos stehen einträchtig und farbenfroh zusammen. 

Die Schwarzwaldhalle, der größte Saal auf dem Messegelände, ist proppenvoll, als "Brot für die Welt"-Präsidentin Dagmar Pruin größere Anstrengungen gegen die weltweite Hungerkrise fordert. Als Ursache macht sie aus, dass die Industrienationen in ungerechter Weise zu lange auf Kosten anderer gelebt hätten. Daher sei mehr Ursachenbekämpfung nötig, um den Hunger in der Welt dauerhaft zu überwinden. Rund jeder zehnte Mensch sei unterernährt. Die Nothilfe sei weltweit aufzustocken.

Die Rolle der Kirchen für den Frieden ist immer wieder Thema bei den Veranstaltungen. Zum Ukraine-Konflikt sagt Dagmar Pruin, zunächst müsse man den durch den Krieg verfolgten und Not leidenden Menschen helfen und dann "auch die Räuber zur Rechenschaft ziehen". Dabei verweist sie eindringlich auf das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ein Dialog zwischen Vertretern aus Russland und der Ukraine blieb hingegen bislang erfolglos. Die Delegationen aus Russland und der Ukraine reden nicht miteinander. 

Junge Menschen singen und demonstrieren für den Einsatz gegen den Klimawandel am Rande der 11. Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe.

Über 100 junge Menschen aus aller Welt demonstrieren am Freitagmittag mit Trommeln und Gesang am Rande des ÖRK für Klimagerechtigkeit. Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD, ist mittendrin dabei.  Die Protestierenden fordern gemeinsam mit Mitgliedern von "Fridays for Future" von Politik und Kirchen sofortiges Handeln gegen die Klimakrise. Vor dem Eingang reihen sich die Zelte von Ausstellenden aneinander, die auf sich aufmerksam machen. So haben auch "Rainbow Pilgrims of Faith" ein Ausstellungszelt vor dem Eingang aufgebaut. Sie geben Gläubigen LGBTQI-Menschen eine Stimme, die auch in der weltweiten Ökumene gehört werden soll, um die Vielfalt der Gläubigen aufzuzeigen und ihr gerecht zu werden.

Im Miteinander geht es auch immer wieder gegen Gewalt. Das Kunstwerk "Wasserfall der Solidarität und des Widerstandes" zeigt einen zusammengenähten Wasserfall-Wandteppich zur Kampagne #ThursdaysinBlack, also "Donnerstags in Schwarz". Aus ihm fließen Geschichten. Sie erzählen von Gewalterfahrungen. "Ich habe die Wunden meiner Schwester genäht. Sie wurde von ihrem Partner niedergemetzelt …" ist etwa eine Bekundung eines Menschen, der sich für eine Welt ohne Vergewaltigung und Gewalt engagiert. Der Wandteppich setzt sich aus eingenähten Stoffelementen zusammen. Jedes einzelne steht für eine Lebenserfahrung.

Trotz vieler Herausforderungen kommt auch eine süße Leichtigkeit nicht zu kurz. In der Begegnungszone versorgt beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) die Menschen mit Süßigkeiten in der Candy-Bar, von der EKD wird die Zusammenkunft mit einer Fotobox in einem 70er-Jahre Bus festgehalten und ein extralanger Tischfußball-Kicker sorgt für Unterhaltung. Beide betreiben gemeinsam einen Stand. Mir erscheint die Vollversammlung des ÖRK, die noch bis Donnerstag andauert, aufgrund der kulturellen Vielfalt und vielfältiger Sichtweisen wie ein großer bunter Blumenkorb. Möge aus dieser Kraft eine friedlichere, eine ökumenischere Welt erwachsen. 

Frank Muchlinsky, Pfarrer und evangelisch.de-Redakteur:

Der "World Council of Churches" (WCC) heißt auf Deutsch "Ökumenischer Rat der Kirchen" (ÖRK). Das ist eine gute, wenn auch nicht vollständige Übersetzung, weil die Welt fehlt. Mir hat es gut gefallen, bei meinem Besuch in Karlsruhe vor allem Englisch zu sprechen. Konversationen in einer anderen als der Muttersprache führen dazu, genauer auf die Worte zu achten, die man nutzt. Dabei sind mir drei Worte besonders aufgefallen, die ich hier vorstellen möchte.

Reconciliation

Reconciliation bedeutet "Versöhnung". Das Wort kommt im Motto der ÖRK-Versammlung in Karlsruhe vor: "Christ's love moves the world to reconciliation and unity" ("Die Liebe Christi bewegt die Welt zu Versöhnung und Einheit"). Versöhnung ist etwas Wundervolles. Das Wort strömt Heilung aus. Das Englische Pendant "Reconciliation" kann aber noch mehr. Es enthält nämlich die Vorsilbe "Re", also "wieder". Das Wort macht deutlich, dass dort etwas verloren ging. Und in "conciliation" schwingen sowohl "Besänftigung" als auch der "Rat", das "sich wieder Zusammensetzen" mit. Darum passt es in meinen Ohren so besonders gut für das, was unsere Welt derzeit braucht. Wir erleben gerade eine besonders schmerzhaft getrennte, zerstrittene Zeit. Wir sehnen uns nach Versöhnung und ahnen, dass die nur auf dem Weg des gemeinsamen Beratens geschehen kann.

Anbetungsorte

Dieses Wort stand auf einem Plakat, das sich gegen die Gewalt gegen eben solche Orte wandte. Ich habe mich spontan in das Wort verliebt, weil es einerseits so herrlich inklusiv ist. Andererseits nimmt es diejenigen in den Blick, die an diesen Orten zusammenkommen. Üblicherweise wird in den Medien von "Gotteshäusern" gesprochen, wenn man von Synagogen, Kirchen, Tempeln und Moscheen reden will. Aber abgesehen davon, dass im Grunde genommen lediglich Tempel richtige "Gotteshäuser" sind, weil in ihnen Gott "wohnt", es werden bei Attentaten auf diese Orte Menschen angegriffen, eben diejenigen, die dort zusammenkommen, um anzubeten. Und dann kommt noch hinzu, dass "Orte" anders als Häuser auch ohne Dach auskommen.

People of Faith

Eine direkte Übersetzung ist bei diesem Begriff wenig sinnvoll. Vermutlich wird man auf Deutsch "Gläubige" verwenden. Aber auch in diesem Fall hält der englische Begriff zusätzliche Nuancen bereit: People of Faith sind Menschen, die glauben. Nimmt man den Glauben weg, so sind es doch immer noch Menschen. In "Leute des Glaubens" stecken sowohl Zuversicht und Beharrlichkeit als auch Zweifel. Außerdem steckt in "People" auch Gemeinschaft, eben die Gemeinschaft aller, die mit dem Glauben zu tun haben, jenseits von Religionen sind die "People of Faith" diejenigen, die Größeres im Blick haben als sich selbst. Zu denen will ich gehören.

Katrin Greschner, evangelisch.de-Social Media-Redakteurin:

Willkommen in (Karls)Ruhe

"Das wird ein Once in a Lifetime-Event", sagen meine Kolleg:innen. Denn: Der Ökumenische Rat der Kirchen tagt erstmals in Deutschland. Ein einzigartiges Event in Karlsruhe, das gerade mal eine Stunde Zugfahrt vom Frankfurter Hauptbahnhof entfernt ist. Im Vergleich dazu, von wo die Menschen aus der ganzen Welt anreisen müssen, ist das für uns ein Katzensprung. Wir kommen am Hauptbahnhof an und ich denke: "Man ist es hier ruhig!". Verdächtig ruhig, dafür, dass ihn dieser Tage – laut Pressemitteilung – rund 45.000 Menschen aus rund 120 Ländern passieren sollen.

Das Kongressgelände ist von allen Seiten abgesperrt. "Entschuldigung, wo finde ich den Eingang?", spreche ich eine Helferin an. Sie erwidert: "Excuse me?". Ich erinnere mich: Obwohl sie in Deutschland ausgetragen wird, handelt es sich um eine internationale Veranstaltung. Ich switche ins Englische. Als wir den Eingang nach der Sicherheitskontrolle betreten, ist es wieder ruhig. Und das trotz der vielen Menschen, die sich ihre Wege über das Gelände bahnen. Ich fühle mich dennoch nicht gehetzt und erkunde die einzelnen Hallen und Bereiche.

Schmelztigel der Kulturen und Religionen

Überall treffen wir alte Bekannte und lernen neue Menschen kennen. Schnell wird mir klar: Die Vollversammlung ist vor allen Dingen ein Ort der Begegnung! Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Egal wo ich mich befinde, prasseln so viele Eindrücke auf mich ein. Ich fühle mich, als wäre ich in 120 Ländern gleichzeitig – in einem "Melting Pot" der Kulturen und Religionen, und das gerade mal eine Stunde Fahrt von Zuhause entfernt.

Dass die Vollversammlung sehr bunt ist, bemerkt man nicht nur an den verschiedenen Farben der Namensschilder. Wir rätseln oft gemeinsam: "Welche Farbe ist welcher Funktion zugeordnet?" Das wiederum bietet einen Anlass, um mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Ich lerne George, einen katholischen Priester aus Jerusalem, die Klimaaktivistin Anika aus England, und die Organisatorin Gabriela aus Frankreich kennen. Wir unterhalten uns sprichwörtlich gesagt: "Über Gott und die Welt".

Fremde werden zu Freunden

Besonders wohl fühle ich mich in der "Networking Area", einem Bereich, in dem genau das gewollt ist: Sich vernetzen und Menschen aus aller Welt kennenlernen. Auch die EKD präsentiert sich hier mit einem Stand. An einem riesigen Tischkicker werden Fremde zu Freunden. Wir jubeln gemeinsam über Tore nach zwei Jahren der Isolation und Einsamkeit der Pandemie – sogar über die des Gegners. Gleiches Spiel beim gemeinsamen Selfie in der Fotobox – einem umgebauten VW-Bus: Dort werden Erinnerungen für die Ewigkeit geschossen. Bei den Kollegen aus der Schweiz dürfen wir ein Plakat bedrucken – wie zu Luthers Zeiten. Es gibt mehr als genug Material, um den Menschen, die nicht dabei sein können, die Veranstaltung über die Sozialen Medien zugänglich zu machen.

Schluss mit (Karls)Ruhe

Und plötzlich ist es gar nicht mehr ruhig: Am Freitag ziehen Klimaaktivist:innen aus der ganzen Welt gemeinsam über das Kongressgelände und auf die Bühne in der sogenannten "Exhibition Area". Sie rufen und fordern "Climate justice!" – und zwar jetzt! Alle halten selbstgebastelte Plakate in die Höhe – in vielen verschiedenen Sprachen. Gitarren erklingen. Gemeinsam singen sie das Protestlied "We shall overcome". Und ich bin mittendrin, wir gehen live auf Instagram. Es folgen Reden von Aktivist:innen aus der ganzen Welt. Ich bin so geplättet und froh. Ich grinse durchgängig und freue mich, Teil dieses "Once in a Lifetime-Events" gewesen sein zu dürfen.