TV-Tipp: "Rabiat: Wer pflegt Mama?"

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1. August, ARD, 23.15 Uhr
TV-Tipp: "Rabiat: Wer pflegt Mama?"
Die Eltern zu pflegen ist eine Aufgabe, der nicht jeder gewachsen ist - das macht die Dokumentation aus der Reihe "Rabiat" unmissverständlich klar. Sie ist nah dran an der Realität, ohne den alten Menschen ihre Würde zu nehmen.

Der Mensch denkt nicht gern über den Tod nach, schon gar nicht über den eigenen. Das liegt in der Natur der Sache: Sinn des Lebens ist schließlich nicht das Sterben. Längst wird in unserer Gesellschaft aber auch die Zeit davor verdrängt: Die meisten Menschen hoffen, irgendwann in den eigenen vier Wänden für immer einzuschlafen, am besten im Kreise ihrer Lieben.

Ein frommer Wunsch: Achtzig Prozent der Deutschen sterben im Pflegeheim oder im Krankenhaus. Tatsächlich verpassen es die meisten, ihren Lebensabend rechtzeitig zu organisieren. Früher, zu Zeiten der Großfamilien, war das zumindest auf dem Land kein Thema: Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Eltern zu bitten, ihre letzten Jahre in einem Heim zu verbringen. Weil Lena Oldach das Gefühl hat, dass ihre Mutter keinen Plan hat, ist diese Reportage aus der jungen Radio-Bremen-Reihe "Rabiat" entstanden.

Der Titel "Wer pflegt Mama?" ist durchaus persönlich gemeint, denn zu den Protagonistinnen gehört auch Oldachs Mutter. Sie ist 65 und zeigt noch keinerlei Anzeichen von Altersschwäche; aber das wird erfahrungsgemäß nicht ewig so bleiben. Und dann? Diese Frage stellen sich vermutlich viele Menschen im Alter der rund dreißig Jahre alten Autorin. Sie selbst lebt in Bremen, die Mutter drei Autostunden entfernt in Hessen - in einem Haus, das einst ihren eigenen Eltern gehört hat. Für die beiden sei das Thema Lebensabend stets tabu gewesen: weil sie umgehend eine Abschiebung ins Heim geargwöhnt hätten.

Nun fragt sich Lena Oldach: Haben Kinder die moralische Pflicht, sich um ihre Eltern zu kümmern? Weil sie wissen will, wie sich das anfühlt, besucht sie Sandra in der Nähe von Dortmund. Sie ist 52 und lebt mit ihrer Mutter unter einem Dach. Bei Renate ist vor acht Jahren Demenz diagnostiziert worden; da war sie Ende sechzig. Seither ist es offenbar rapide bergab gegangen, heute braucht sie Betreuung rund um die Uhr.

Vormittags kümmert sich die Tagespflege der Caritas um die alte Frau, damit Sandra arbeiten kann, aber ansonsten hat sie ihr Leben konsequent und restlos auf Renates Bedürfnisse ausgerichtet. Oldach dokumentiert, wie dieser Alltag aussieht. Die alte Frau ist kaum noch mobil, Gespräche sind im Grunde nicht möglich. Das Verhältnis der beiden ist ungemein liebevoll, außerdem hat Sandra offenbar eine Engelsgeduld, aber die Autorin erkennt recht bald: Das wäre nichts für sie.

Wie die Alternative aussähe, zeigt die Reportage ebenfalls: Eine Frau aus Dresden hat versucht, ihren 80jährigen Vater zu pflegen, musste aber irgendwann erkennen, dass die Verantwortung ihre Kräfte überstieg; und die ihrer Familie. Nun lebt der alte Mann in einem Heim, wo er sichtlich unglücklich ist, und das nicht nur wegen des seiner Ansicht nach eintönigen und wenig schmackhaften Essens.

Dies sei "ein Film ohne Wohlfühlfaktor", warnt Oldach zu Beginn, und das ist nicht übertrieben. Gerade der Besuch bei Sandra und Renate lässt keinen Zweifel: Altenpflege ist eine Aufgabe, der nicht alle gewachsen sind. Das Filmteam ist stets hautnah dabei, auf dem Klo und beim Duschen.

Das klingt indiskret, ist aber so gefilmt, dass die Würde der alten Frau nicht beeinträchtigt wird. Weitaus unangenehmer ist eine Szene, als Sandra von ihren Gefühlen übermannt wird und die Kamera umgehend in die Nahaufnahme wechselt, um bloß keine Träne zu verpassen; das ist eine Form von Emotionspornografie, die in einer seriösen Reportage nichts zu suchen hat. 

Sehenswert ist "Wer pflegt Mama?" trotzdem, zumal plakative Formulierungen wie "Deutschland rast mit Vollgas auf einen Kollaps im Pflegesystem zu" die Ausnahme sind. Inhaltlich ist die Aussage ohnehin korrekt: Bis 2030 wird es hierzulande sechs Millionen Pflegebedürftige geben. Der Staat setzt auf "Ambulantisierung" und verlässt sich darauf, dass die meisten Alten von Angehörigen umsorgt werden; das könnte ein böses Erwachen geben.

Sandra fühlt sich schon jetzt vom Staat alleingelassen, zumal es sich natürlich auch bei der  Rente bemerkbar macht, wenn Frauen wegen der Pflege ihrer Eltern oder Schwiegereltern den Job kündigen. Der Mehrwert des Films besteht jedoch vor allem in seinem Anregungspotenzial. Die Aufforderung "Heute schon an Morgen denken" gilt zwar meist der Altersvorsorge, hat aber natürlich auch in diesem Zusammenhang ihre Berechtigung: Wer sich beizeiten über seinen Platz im Alter Gedanken macht, tut nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kindern einen großen Gefallen, denn auf diese Weise bleibt ihnen eine äußerst schwierige Entscheidung erspart.