TV-Tipp: "Tatort: Tyrannenmord"

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20. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Tyrannenmord"

Wenn der Diktator eines südamerikanischen Landes zum Staatsbesuch erwartet wird und kurz zuvor der Sohn des Botschafters verschwindet, ist das selbstredend kein Zufall; zumal Juan, der ein niedersächsisches Elite-Internat besucht, in ungleich engerer Beziehung zum Präsidenten steht, als seine Mitschüler ahnen.

Deshalb ist es durchaus pikant, dass Lehrer Bergson (Christian Erdmann) im Unterricht das titelgebende Thema des Tyrannenmords behandeln lässt. Die Frage, ob es moralisch gerechtfertigt wäre, Hitler als Baby zu töten, wenn man durch die Zeit reisen könnte, ist ein beliebtes Gedankenexperiment; entsprechend lebhaft ist die Diskussion im Unterricht. Juan vertritt jedenfalls eine andere Politik als sein Vater; umso tragischer, dass er kurz drauf offenbar von linken Oppositionellen entführt wird.

Jochen Bitzers Drehbuch lässt die Katze allerdings recht früh aus dem Sack: Der junge Mann hat das Verbrechen gemeinsam mit seiner Freundin (Valerie Stoll) und Mitschüler August (Anselm Ferdinand Bresgott) inszeniert, um sich auf diese Weise dem Brimborium des Staatsbesuchs zu entziehen; aber dann haben die Dinge eine tragische Wende genommen. Von all’ dem kann Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) zunächst natürlich nichts ahnen. Der Bundespolizist ist außerdem schlechtgelaunt, weil er ohne seine Partnerin auskommen muss: Julia Grosz kümmert sich um den Schutz des Präsidenten, weshalb Franziska Weisz nur ein paar Kurzauftritte hat. Falke bekommt stattdessen einen Partner vor Ort: Der junge Oberkommissar Felix Wacker (Arash Marandi) will Fallanalytiker werden und stürzt sich mit entsprechendem Eifer in die Ermittlungen.

Eine der letzten Arbeiten Bitzers, als Autor des Dramas "Der Fall Jakob von Metzler" (2012, ZDF) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, war der fesselnd umgesetzte Polit- und Medienthriller "Die vierte Gewalt" (2016, ARD). Darin blieb lange offen, wer Täter und wer Opfer ist. Das ist diesmal anders: Die Sonntagskrimis mit Falke und Grosz drehen zwar oft am ganz großen Rad, aber bei "Tyrannenmord" ist früh zu erahnen, dass die politische Ebene nur den Hintergrund der Ereignisse bildet.

Eine der interessantesten Figuren ist dennoch Juans Leibwächter, zumal José Barros, ein Hamburger mit chilenischen Wurzeln, dem Mann eine reizvolle Ambivalenz verlieht: Carlos, der nie eine Miene verzieht, ist eine Art Fels in der jugendlichen Brandung seines Schützlings. Als der Junge verschwindet, ist ihm klar, welches Schicksal ihm blühen wird. Aber dann stellt sich raus, dass er noch eine alte Rechnung mit dem Regime offen hat; Rache ist immer ein starkes Motiv.

Regie führte Christoph Stark, der zuletzt unter anderem einen ästhetisch herausragenden Beitrag zur ZDF-Reihe "Spreewaldkrimi" gedreht hat ("Die Sturmnacht", 2015). "Tyrannenmord" beginnt wie ein Thriller, als ein Scharfschütze Falke ins Visier nimmt, doch dann konzentriert sich die Inszenierung vor allem auf die Figuren, wobei die Jugendlichen naturgemäß eine besondere Rolle spielen.

Aus Falkes Sicht repräsentiert das Elite-Internat, in dem den Führungspersönlichkeiten der Zukunft die besten Startbedingungen vermittelt werden, eine Welt, die ihm mindestens suspekt ist; seiner Ansicht nach sollten alle Kinder in den Genuss einer derartigen Ausbildung kommen (die Schulszenen sind im Internat Solling in Holzminden entstanden). Der Film macht allerdings auch keinen Hehl daraus, dass die Schulzeit für diese Jugendlichen ein goldener Käfig ist.

Auch die Figurenzeichnung ist differenziert. Carlos zum Beispiel, der schließlich zum Hauptverdächtigen wird, offenbart unerwartet emotionale Seiten. Selbst dem Despoten gönnen Stark und Bitzer Momente des Mitgefühls; seiner unsympathischen Frau (Alexandra von Schwerin) allerdings nicht. Sehr reizvoll ist auch die Rolle von Christian Erdmann: Lehrer Bergson ist ein Sozialromantiker, der eine dunkle Seite hat und außerdem zu fragwürdigen Kompromissen bereit ist.

Von Starks guter Arbeit mit dem Ensemble profitieren vor allem die jungen Mitwirkenden; Valerie Stoll, zuletzt Hauptdarstellerin der ARD-Serie "Eldorado KaDeWe" (2021), war bereits in der "Helen Dorn"-Episode "Atemlos" (2020) ganz vorzüglich. Auch Arash Marandi bewirbt sich mit Nachdruck für weitere große Rollen. Die Szenen mit dem jungen Kollegen dienen als Ausgleich zur ernsten Ebene: Wacker fühlt sich geehrt, mit dem Hauptkommissar zusammenarbeiten zu dürfen, und will unbedingt sein Freund werden, was den diesmal recht dünnhäutigen Falke zunehmend nervt.