TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Hermann"

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5. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Hermann"
Der "Polizeiruf 110: Hermann" des Regisseurs mit israelischen Wurzeln, Dror Zahavi, beginnt gewöhnlich: In einem LKW mit Bauschutt wird die Leiche einer Ingenieurin gefunden. Die Ladung stammt von einer Baustelle, deren Projekt wegen unklarer Besitzverhältnisse unterbrochen wurde. Hier kommt die persönliche Geschichte des Regisseurs ins Spiel, denn das Haus soll einem Israeli gehören, dessen Familie während des Kriegs enteignet wurde. Also doch ein etwas ungewöhnlicher Tatort, den Erfahrungen von Zahavis Familie prägen.

Das hiesige Fernsehen hat dem Regisseur Dror Zahavi viele große Werke zu verdanken. In diesen Tagen zeigt die ARD "Ein Hauch von Amerika", eine sechsteilige Serie über die "Amerikanisierung" der Pfalz in den frühen Fünfzigerjahren. Die wichtigsten Filme des Israelis, der seit knapp vierzig Jahren in Deutschland lebt, hatten stets einen zeitgeschichtlichen Bezug, etwa die Versorgung Berlins nach dem Krieg ("Die Luftbrücke", 2005) oder das Attentat während der Olympischen Spiele 1972 ("München 72", 2013). Der gebürtige Israeli hat auch schon Krimis gedreht, darunter mit "Franziska" den wohl spannendsten Fall der Kölner "Tatort"-Geschichte. Ein "Polizeiruf" scheint dagegen auf den ersten Blick eine Nummer zu klein für Zahavi zu sein, zumal die Handlung nicht sonderlich ungewöhnlich beginnt: Bei einem Verkehrsunfall zeigt sich, dass ein LKW nicht bloß Asbestabfälle, sondern auch die Leiche einer Bauingenieurin transportiert. Die Ladung stammt von einer Cottbuser Baustelle. Das 50 Millionen Euro schwere Bauprojekt ist ins Stocken geraten, weil die Besitzverhältnisse eines zur Sanierung vorgesehenen Hauses ungeklärt sind. Die alte Frau Behrend (Monika Lennartz) und ihr Sohn (Heiko Raulin) gehen davon aus, dass es ihnen gehört, aber Bauunternehmer Winkler (Sven-Eric Bechtolf) hat rausgefunden, dass der wahre Eigentümer in Israel lebt. Zvi Spielmann (Dov Glickmann) wusste davon gar nichts, freut sich aber, mit dem Verkaufserlös die beruflichen Pläne seiner Tochter Maya (Orit Nahmias) finanzieren zu können.

Zunächst bleibt erst mal fraglich, was Zahavi an dieser Geschichte interessiert haben könnte. Das ändert sich, als klar wird, dass Spielmann die Titelfigur ist: Bei seiner Geburt 1939 hieß Zvi Hermann, er hat in dem von seinem Vater erbauten Haus die ersten Kindheitsjahre verbracht. Hier hat sich die Familie jahrelang versteckt, bis sie 1944 doch noch deportiert worden ist; Hermann ist der einzige Überlebende. Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung soll geklärt werden, wem das Haus gehört, weshalb Spielmann zum ersten Mal seit damals nach Deutschland zurückgekehrt. Die Bauingenieurin hatte ihm gesagt, sie besitze ein Dokument, das ihn als rechtmäßigen Inhaber ausweise. Eine ähnliche Zusage hat sie allerdings auch den Behrends gemacht, beide Seiten hätten also ein Motiv für die Tat. Die alten Herrschaften kommen dafür kaum in frage; ihre Kinder natürlich sehr wohl.

Dass die verschiedenen Alibis nacheinander platzen und schließlich auch der überhebliche Unternehmer in Verdacht gerät, entspricht zwar den üblichen Krimi-Gepflogenheiten, aber schon allein der Themenkomplex Wiedergutmachung und Entschädigung – in der ostdeutschen Geschichte ein noch unrühmlicheres Kapitel als im Westen – macht "Hermann" zu einem besonderen "Polizeiruf", zumal ins Drehbuch (Mike Bäuml) noch authentische Erfahrungen von Zahavis Familie eingeflossen sind. Davon abgesehen ist schon allein Dov Glickmann das Einschalten wert. Seine eindrucksvolle Präsenz lässt fast alle anderen verblassen und sorgt für einige sehr berührende Momente. Der Israeli spielt schon zum zweiten in einem Zahavi-Film mit: In der ausgezeichneten Komödie "Herbe Mischung" (2015, ARD) hat er einen nationalistischen israelischen Ex-General verkörpert, dessen Sohn ausgerechnet eine deutsche Araberin heiraten will.

Ähnlich sehenswert ist Monika Lennartz: Elisabeth hat ihr gesamtes Leben in dem Haus verbracht, sie und Hermann sind im gleichen Alter, ihre Väter waren enge Freunde; aber es verbindet sie weitaus mehr als nur gemeinsame Kindheitsjahre, wie sich schließlich zeigt. Ähnlich wie Lennartz und Glickmann scheint es auch Lucas Gregorowicz kaum Mühe zu kosten, große Wirkung zu entfalten, zumal Adam Raczek vom deutsch-polnischen Ermittlerteam Spielmanns unversöhnliche Haltung gut nachvollziehen kann: Sein Großvater ist von den Deutschen verschleppt und ermordet worden; ein nicht minder unverzeihliches Verbrechen. Spielmaterial bekommt Gregorowicz, der mit seinen polnischen Eltern als Zehnjähriger nach Bochum gezogen ist, auch in anderer Hinsicht, und die beschert Gisa Flake eine schöne Rolle als Kollegin: Raczek hat früher in Cottbus gearbeitet, wo er nicht nur auf die ihm wohl gesonnene Alexandra Luschke, sondern auch auf den früheren gemeinsamen Chef (Bernd Hölscher) trifft, einen höchst unsympathischen Polenhasser. Auf diesen Typen kann Raczek in Zukunft gern verzichten, aber dass auch Gisa Flakes Mitwirkung ein einmaliges Gastspiel bleibt, ist durchaus bedauerlich.