TV-Tipp: "12 Tage Sommer"

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Mittwoch, 10. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "12 Tage Sommer"

Nichts schweißt mehr zusammen als gemeinsam bestandene Herausforderungen. Die Erkenntnis mag banal klingen, ist aber ein bewährtes Handlungsmuster vieler Tragikomödien, in denen sich Menschen unterschiedlichster Art zusammenraufen müssen, um ein Ziel zu erreichen. Eine Vielzahl pädagogischer Projekte mit verhaltensauffälligen Jugendlichen basiert ebenfalls auf dieser Methode.

Nichts anderes als eine erzieherische Maßnahme ist auch die Wanderung eines Vaters mit seinem Sohn von München zur Zugspitze: Marcel (Mehdi Nebbou) und der 15jährige Felix (Yoran Leicher) haben sich offenbar schon vor geraumer Zeit entfremdet. Der Junge ist dabei, kräftig vom rechten Weg abzukommen. Eine Jugendrichterin (Franziska Schlattner) erkennt umgehend, dass der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen ist: Lebenskünstler Marcel hat mit Ende vierzig noch keinen richtigen Platz im Leben gefunden; die Beziehung zu Felix’ Mutter hat vermutlich auch nicht viel länger gehalten als seine diversen Anstellungen. Die Richterin gibt dem Jungen eine letzte Chance und dem Vater eine Aufgabe: Er bekommt vier Wochen Zeit, um eine verbindende Herausforderung zu finden und dem Sohn zu zeigen, dass er wichtig ist, ansonsten muss Felix in den Jugendknast; also kommt Marcel auf die Idee mit der Wanderung. Felix ist zwar nicht begeistert, willigt aber ein.

Natürlich ist der Weg das Ziel, und genauso wenig überraschend ist die allmähliche Annäherung zwischen Vater und Sohn, die einander zunächst außer gegenseitigen Beleidigungen nicht viel zu sagen haben: Von Felix kommt pure Feindseligkeit, Marcel bleibt ihm – „Heul doch!“ –nichts schuldig. Damit die beiden während ihres Trips nicht auf der Stelle treten, hat Drehbuchautor Jacob Fuhry das Duo um eine weitere Mitwirkende mit ähnlich ausgeprägter Persönlichkeit ergänzt: Maria dient zwar in erster Linie als Packesel, um Zelt, Schlafsäcke und Campingausrüstung zu tragen, wird aber zwangsläufig Zeugin der ständigen Auseinandersetzungen, die sie mit einem gelegentlichen Murkeln kommentiert. Zwischendurch bleibt sie einfach auch mal stur stehen; wie Esel das eben so machen.

Auch wenn das Trio bevorzugt Wald- und Feldwege nutzt, orientiert sich „12 Tage Sommer“ dennoch am Genre des Road-Movies. In diesen Filmen geht es immer um Fortbewegung, aber letztlich dienen die Geschichten stets der Selbstfindung. Damit das auch wirklich funktioniert, sorgt Fuhry für mehrere Begegnungen, die den beiden Reisenden die Augen für die wirklich wichtigen Dinge öffnen. Originelle Metapher für das Brett vor dem Kopf, das Marcel den Blick verstellt, ist ein äußerst schmerzhaftes Missgeschick: Als er auf einen rostigen Nagel fällt, läuft er anschließend mit Holz am Hintern durch die Gegend. Eine verwitwete Bäuerin (Monika Baumgartner) erweist sich nicht nur als Retterin in der Not, sie gibt ihm auch einige sehr kluge Ratschläge mit auf den weiteren Weg. Auch Felix hat ein witzig eingefädeltes Aufeinandertreffen mit einer Frau (Amira Demirkiran), die ihm ein Erlebnis beschert, das er nie vergessen wird, weshalb er am Ende beinahe zu spät zum Gipfelsturm kommt.

Der Film ist dem Titel entsprechend in zwölf Kapitel von unterschiedlicher Dauer aufgeteilt. Tag 5 zum Beispiel dauert nur ein paar Sekunden, denn es regnet in Strömen, weshalb Vater und Sohn, über deren bockiges Verhalten sich zuweilen sogar die Musik (Mathias Rehfeldt) lustig macht, gar nicht erst ihr Zelt verlassen. Regie bei diesem von allen Mitwirkenden jederzeit glaubwürdig gespielten Film führte Dirk Kummer, der ohnehin regelmäßig das Beste aus seinem Ensemble holt; zuletzt bei der famosen RBB-Serie „Warten auf’n Bus“ (2020). 2018 wurde er für die melancholische Tragikomödie „Zuckersand“ über eine tiefe Freundschaft zwischen zwei Zehnjährigen in der DDR mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. In „12 Tage Sommer“ hat er vor allem Yoran Leicher ausgezeichnet geführt. Der junge Schauspieler hat allerdings bereits Erfahrung als Hauptdarsteller: In dem fürs Kino entstandenen sehenswerten Familienfilm „Zu weit weg“ spielte er einen Jungen, dessen linksrheinische Heimat einem Braunkohlebagger weichen muss. In Kummers Tragikomödie verkörpert er vor allem den Wandel vom pubertären Trotzkopf zum Sympathieträger sehr überzeugend. Sehr hübsch sind auch die Miniaturen von Michael Kranz in gleich drei unterschiedlichen Rollen als Alltagsphilosoph. Eine weitere wichtige Mitwirkende ist schließlich die Natur, und das nicht erst zum Finale, als sich die Kamera (Maike Althoff) am Panorama des Wettersteingebirges ergötzt.