Gottloser Gottsucher

Der Liedermacher Wolf Biermann mit Gitarre
© epd-bild/Frank Senftleben
Zum Gepäck des Liedermachers und Dichters gehört auf seiner Herbsttour nicht nur seine Gitarre, sondern auch ein neues Buch (Archivbild vom 13.07.2021).
Wolf Biermann wird 85
Gottloser Gottsucher
Der Liedermacher, sein Glaube und die deutsche Geschichte
Wolf Biermanns Markenzeichen sind freche Verse und pointierte Texte. Doch der radikale Kritiker deutsch-deutscher Befindlichkeiten kann auch anders.
15.11.2021
epd
Thomas Bickelhaupt

Auf seiner Herbsttour durch Deutschland hat Wolf Biermann in diesem Jahr nicht nur die Gitarre dabei. Zum Gepäck des Liedermachers und Dichters, der am 15. November 85 Jahre alt wird, gehört auch ein neues Buch. Unter dem Titel „Mensch Gott!“ gibt er mit Liedern und Texten aus sechs Jahrzehnten den gottlosen Gottsucher. Er sei „nicht so verrückt, an Gott zu glauben“, bekennt er freimütig in dem neuen Sammelband: Er sei „noch verrückter, denn ich glaub an sein Geschöpf“.

Dieser Menschheitsglaube ging für Biermann lange Zeit einher mit einem „eingeborenen Kinderglauben“ an den Kommunismus. Auch der Titel seines jüngsten Buches hat damit zu tun. Denn der Hilferuf „Mensch Gott!“ in seinem „Großen Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg“ war 1967 nichts anderes als ein hilfloses Stoßgebet des linken Enkels, das kommunistische Ideal doch nun endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Jahrzehnte später räumt Biermann ein, von dieser Grundhaltung habe er sich „ziemlich spät“ gelöst, „erst im Jahre 1983“.

Wolf Biermann, geboren in Hamburg, siedelt als 16-Jähriger in die DDR über, studiert politische Ökonomie, Philosophie und Mathematik, gründete das Ost-Berliner Arbeiter- und Studententheater, das bald verboten wird. Er schreibt zeitkritische Gedichte, Lieder und Balladen, veröffentlicht auch in der Bundesrepublik. 1965 wird in der DDR ein totales Auftritts- und Publikationsverbot über Biermann verhängt. Elf Jahre später, nach einem Auftritt in Köln, bürgern die DDR-Behörden den für sie unliebsamen Prediger eines „wahren Sozialismus“ kurzerhand aus.

Wolf Biermann hat sein Archiv, seine Tagebücher und seinen DDR-Reisepass der Berliner Staatsbibliothek überlassen. Der Erwerb der mehr als 100 grosse Kisten umfassenden Sammlung wurde mit Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien mit einem Festakt gewürdigt und steht der Forschung zur Verfügung.

Die Ost-Berliner Nachrichtenagentur ADN vermeldet die Ausbürgerung am 16. November 1976, einen Tag nach seinem 40. Geburtstag. Der Ausgesperrte erfuhr davon auf einer Autofahrt nach Bochum: „Ich war wie in die Tonne getreten“, schrieb er vor fünf Jahren in seiner Autobiografie. Biermann zog nach Hamburg, das er 1953 verlassen hatte.

Er wollte „lieber in der DDR von den richtigen Leuten das Richtige lernen“, so hatte der diesen Schritt damals begründet. Seine Eltern waren Kommunisten, der jüdische Vater wurde in Auschwitz ermordet. „Der ungebrochene Widerstandskämpfer Dagobert Biermann blieb mein gebenedeiter Märtyrer“, ihn wollte er „nicht verraten“, schreibt er in seinem neuen Buch. Dabei verpasste der junge SED-Staat dem Jugendlichen aus dem Westen schon bald erste Blessuren.

Die Attacken an seiner Schule in Gadebusch bei Schwerin galten Biermanns öffentlicher Kritik am Tribunal gegen Mitglieder der Jungen Gemeinde, die damals landesweit einer massiven Hetzkampagne und dem Vorwurf westlicher Agententätigkeit ausgesetzt war. Trotzdem bewahrte sich Biermann in der DDR offenbar die Illusionen von einem gerechten Gemeinwesen unter kommunistischen Vorzeichen.

„Ich - der Gutgläubige - protestierte in der DDR in radikaler Manier des revolutionären Reformators Martin Luther“, resümiert Biermann. In sprachlichem Grobianismus richtete sich der unbändige Barde immer wieder gegen die Mächtigen im Land - und kaschierte damit zugleich seine gelegentlichen Ängste vor staatlichen Schikanen.

Dabei war Biermann keineswegs der einzige kritische Geist in der damaligen ostdeutschen Kulturszene. Allerdings erlagen nach 1971 nicht wenige Autoren und Künstler der Illusion, die DDR würde unter dem neuen SED-Chef Erich Honecker liberaler. Dass der nunmehr erste Mann beim kulturellen Kahlschlag von 1965 die entscheidende Rolle gespielt hatte, schien damals bei vielen vergessen.

Für Biermann bedeutete das Berufsverbot ab 1965 elf Jahre Bespitzelung rund um die Uhr. Umso größer war das Entsetzen der Ost-Berliner Machthaber nach dem Versagen der Stasi im September 1976, als Biermann bei einem evangelischen Regionalkirchentag in Prenzlau ungehindert auftreten konnte.

Die Ausbürgerung wenig später löste eine beispiellose Welle der Solidarisierung aus. Mehr als 100 Schriftsteller und Künstler protestieren in einer Petition gegen die Entscheidung, viele der Unterzeichner wie Sarah Kirsch, Günter Kunert und Jurek Becker verließen in der Folge die DDR.

Die SED-Führung verstärkte die Überwachung und Unterwanderung kirchlicher und oppositioneller Gruppen. Damit hat die Aktion vom November 1976 die DDR nachhaltig verändert. Manche sehen darin den Anfang vom Ende des ostdeutschen Staates.

Der aus der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann singt auf der Kundgebung einer Friedensdemonstration während des Evangelischen Kirchentages in Hannover am 8.6.1983.

Biermann, dessen charakteristischer Schnurrbart mittlerweile grau geworden ist, lebt heute mit seiner zweiten Frau Pamela in Hamburg. Er ist Vater von zehn Kindern, hatte 1975 die Ärztin Christine Barg geheiratet und war zuvor mehrere Jahre lang der Lebensgefährte von Eva-Maria Hagen, der Mutter von Nina Hagen.

In seinem jüngsten Buch bietet Biermann facettenreiche Kommentare zu Befindlichkeiten in jüngster deutscher Geschichte. Jenseits der allseits bekannten lauten Rebellion offenbaren Lieder, Gedichte und Texte eher weniger bekannte Seiten des Dichters. Die Bandbreite reicht vom Klassiker „Ermutigung“ (1966), der mittlerweile in Schweden im evangelischen Kirchengesangbuch steht, bis hin zu einer tiefen Verneigung vor dem barocken Kirchenmusiker Johann Sebastian Bach.

Und er warnt vor einem Missbrauch der Religionen, weil sie sich alle „bei Bedarf reaktionär zweckentfremden“ ließen. Mit dem Kapitel „Jüdischkajten“ spürt er der eigenen Familiengeschichte nach und hält bei alledem religiöse Toleranz für eine Selbstverständlichkeit: „An welchen Gott, egal welcher Konfession ein Menschenkind glaubt, das soll mich nicht von ihm trennen.“