TV-Tipp: "Der 7. Tag"

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19. Oktober, 3sat, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der 7. Tag"
Es ist der klassische Thriller-Einstieg: Eine Person wacht neben einer Leiche auf, gilt selbstredend als tatverdächtig und muss nun den wahren Mörder finden, um die eigene Unschuld zu beweisen.

„Der 7. Tag“ basiert auf dem gleichnamigen eBook-Bestseller von Nika Lubitsch und erzählt die Geschichte einer Frau, die offenkundig ihren Mann getötet hat. Allein die Anzahl der Messerstiche (18) lässt aus Sicht der Polizei keinen anderen Schluss zu, als dass es sich bei der Tat um einen sogenannten Intimizid handelt. Die Spurenlage scheint ebenso eindeutig wie die Motivlage, auch wenn sich die Ermittler zurecht fragen, warum eine Frau ihren Mann im Hotel ermordet und sich dann seelenruhig ein paar Zimmer weiter ins Bett legt, um acht Stunden zu schlafen. Sybille Thalheim (Stefanie Stappenbeck) kann sich ohnehin an nichts mehr erinnern, als sie morgens mit einem blutigen Messer in der Hand erwacht. Weil vor dem Haus schon die Polizei steht, denkt sie nicht lange nach, sondern ergreift hektisch die Flucht.

Mit Hilfe eines cleveren und recht reizvollen Kniffs sorgen Buch und Regie dafür, dass die Witwe zunächst überaus unschuldig wirkt, und tatsächlich zeigt sich recht bald, dass sie keineswegs Täterin, sondern Opfer eines höchst perfiden Komplotts ist. Dank einer komplexen, aber wegen der atmosphärischen Unterschiede – die Gegenwart kühl, die Vergangenheit sonnig – nie verwirrenden Rückblendenkonstruktion reichen André Georgi (Buch) und Roland Suso Richter (Regie) nach, was sich nicht nur in den letzten sechs Tagen, sondern auch in den Jahren zuvor zugetragen hat. Raffiniert gibt der Film (eine Wiederholung aus dem Jahr 2017) immer nur so viel preis, wie zum Verständnis der weiteren Handlung nötig ist.  Erst am Schluss offenbart sich die ganze Wahrheit, denn der Täter hat gleich zwei Motive.

Die Geschichte ist zunächst völlig undurchsichtig, weil auch Sybille komplett im Dunkeln tappt. In ihrer Panik wendet sie sich an ihre Freundin Gabi (Katharina Schüttler). Die Frauenärztin versteckt sie in einem Geburtshaus; ihr Mann Ulrich (Marcus Mittermeier) ist Strafverteidiger, ihm wird schon eine Lösung einfallen. Gemeinsam mit Sybilles Mann Michael (Steve Windolf) waren die beiden Paare beste Freunde; bis Michael vor 17 Monaten spurlos verschwunden ist, und mit ihm 20 Millionen Euro, die er von verschiedenen Treuhandkonten der gemeinsamen Anwaltskanzlei unterschlagen hat. Für die hochschwangere Sybille war dies das Ende von allem: Sie verlor ihr Baby und erlebte einen rasanten sozialen Absturz. Wenn sie rausfindet, warum Michael wieder zurückgekommen ist, wird sie auch erfahren, warum er sie damals im Stich gelassen hat; aber dafür muss sie nicht nur der Polizei entkommen, sondern auch dem Killer, der ihren Mann getötet hat und nun hinter ihr her ist.

Das eine oder andere Detail lässt sich zwar erahnen, aber das Drehbuch hält trotzdem immer noch genug Überraschungen bereit. Außerdem ist die Besetzung geradezu formidabel. Das ermittelnde Polizeiduo spielt nur eine Nebenrolle, hat jedoch darstellerisch eindeutigen Star-Status und ist derart reizvoll, dass es auch gut als Reihenteam vorstellbar wäre: Henning Baum spielt den Kommissar Rainer Warnke, der noch nicht lange im Rollstuhl sitzt, Josefine Preuß seine Mitarbeiterin. Von ihrer Statur her sind die beiden denkbar gegensätzlich, die Hierarchie ist auch klar, aber trotzdem begegnen sie sich auf Augenhöhe; und das nicht nur wegen Warnkes Behinderung. Was dem Kommissar widerfahren ist, bleibt offen; auch das wäre eine Vorlage für eine etwaige Fortsetzung. Für Baum ist dieser Polizist schon rein physisch eine ungemein interessante Rolle: Warnke konnte mal die Welt aus den Angeln heben; nun muss er damit klar kommen, dass schon eine simple Stufe ein schmerzhaftes Hindernis darstellt. Im Grunde sind die Rollen der beiden Ermittler durch die Besetzung überbewertet. Andererseits war die Wahl des Sympathieträgers Baum ziemlich clever, weil auf diese Weise fast automatisch ein unsichtbares Band zwischen Sybille und Warnke entsteht; das zeigt sich spätestens in der berührenden Schlussszene, als sich der stolze Mann zum ersten Mal schieben lässt.

Davon abgesehen hat sich Autor Georgi ohnehin gut von der Vorlage emanzipiert; unter anderem verzichtet er auf die Rahmenhandlung des Buches, die in einem Fernsehfilm womöglich etwas einfallslos gewirkt hätte. Am Schluss bleibt zwar eine kleine Frage offen (hatte der Drahtzieher eine Komplizin?), aber Stefanie Stappenbeck würde der Geschichte vermutlich selbst über größere Logiklücken hinweghelfen. Sie ist jederzeit glaubhaft als eigentlich am Boden zerstörte Frau, die mit unlösbaren Herausforderungen konfrontiert wird und über sich hinauswächst, ohne dabei je unrealistisch zu wirken. Dass dieser Thriller zwar mit einer Auflösung, nicht aber mit einer Erlösung endet, versteht sich ohnehin von selbst.