Telefonseelsorge spiegelt Probleme der Gesellschaft

Stillleben eines Kreuzes und eines Smartphones mit Kontakt der Telefonseelsorge
© epd-bild/Jens Schulze
Die Telefonseelsorge ist eine vorwiegend ehrenamtlich betriebene Hilfseinrichtung zur telefonischen Beratung von Menschen mit Sorgen, Nöten und Krisen, die in vielen Ländern besteht. Sie dient als Krisendienst unmittelbar der Suizidprävention und ist in den meisten Ländern rund um die Uhr erreichbar.
Einsamkeit und Depressionen
Telefonseelsorge spiegelt Probleme der Gesellschaft
Isolierte Studierende, überforderte Mütter - und Männer, die nach Berufsende nicht weiterleben wollen: Die Telefonseelsorge, die sich nun auf Landesebene noch besser vernetzt hat, spiegelt die Probleme der Gesellschaft. Und hilft niederschwellig.

Im vergangenen Jahr haben sich Menschen vor allem wegen Einsamkeit, Depressionen und Ängsten an die Telefonseelsorge (TS) in Baden-Württemberg gewandt. Fast 30.000 der insgesamt 168.000 Anruferinnen und Anrufer hätten Einsamkeit thematisiert, teilte Gregor Bergdolt, Vorsitzender der neu gegründeten Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der TS der vier großem Kirchen in Baden-Württemberg am Donnerstag bei einem Online-Pressegespräch mit. Rund 28.000 Anrufer sprachen von Depressionen, rund 24.500 von Ängsten. Der Statistik zufolge drehten sich im Jahr 2020 außerdem 4.500 Gespräche um Suizidgedanken, in fast 14.000 Telefongesprächen ist es um das Thema Corona gegangen.

Von Einsamkeit seien auch besonders Studierende während der Corona-Zeit betroffen gewesen, die als Erstsemester oder bei einem Ortswechsel kaum Kontaktmöglichkeiten zu anderen Kommilitonen gehabt hätten. Für viele sei es enorm schwierig gewesen, durch die Corona-Zeit zu kommen, sagte Bergdolt. „Teilweise sind in dieser Zeit schwerste psychische Erkrankungen entstanden“.

Schritt in den Ruhestand großer Einbruch

Im vergangenen Jahr sei laut Bergdolt außerdem auffällig gewesen, dass sich zahlreiche ältere Männer wegen Suizidgedanken an die Telefonseelsorge gewandt hätten. Für viele sei der Schritt in den Ruhestand ein großer Einbruch, da mit ihm gleichzeitig auch der berufliche Status und viele Kontakte verloren gehen, erklärte er.

Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Telefonseelsorge berichtete, dass sie in den vergangenen eineinhalb Jahren mit vielen jüngeren Frauen am Telefon geredet habe, die mit Berufstätigkeit, Kindern und der Corona-Situation überfordert waren. „Es gab manchmal Nächte, an denen ich mit fünf bis sechs jungen Frauen gesprochen habe, die nicht mehr weiterleben wollten.“

Chat-Funktion überwindet Schamgefühle

Martina Rudolph-Zeller, Leiterin der Evangelischen TS Stuttgart, sagte, vor allem junge Menschen würden sich über Chat an die OnlineSeelsorge wenden. Ihnen fiele es oft leichter, über schambesetzte Themen wie sexualisierte Gewalt oder Selbstverletzung zu schreiben, als darüber zu sprechen.

Für viele Menschen sei der Kontakt zur Telefonseelsorge der erste Schritt, um Zugang zu einem Hilfesystem zu erhalten, das zum Teil sehr undurchschaubar sein. „Wir sind oft die erste niedrigschwellige Kontaktstelle“, so Rudolph-Zeller.

Im Südwesten gibt es insgesamt 13 Telefonseelsorge-Stellen mit insgesamt 1.060 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Neben den 168.000 Kontaktaufnahmen per Telefon fanden 2020 auch 6.700 Mailwechsel sowie 5.200 Chats statt.

Die neu gegründete Landesarbeitsgesellschaft Telefonseelsorge Baden-Württemberg (LAG TS BW) vertritt die Telefonseelsorge-Stellen auf Landesebene. Sie will nach eigenen Angaben die Vernetzung der TS-Arbeit im Land fördern und Ansprechpartner sein für die Politik und Öffentlichkeit sowie Einrichtungen und Verbände der psychosozialen Versorgung. Die Telefonseelsorge in Baden-Württemberg benötigt nach eigenen Angaben ungefähr 2,4 Millionen Euro jährlich, um gut arbeiten zu können, sie wird zu etwa 70 Prozent durch kirchliche Mittel finanziert.