Sprecht eure Gebete nicht gedankenlos vor euch hin wie die Heiden! Denn sie meinen, ihr Gebet wird erhört, weil sie viele Worte machen. Macht es nicht so wie sie! Denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch bevor ihr ihn darum bittet. So sollt ihr beten:
Unser Vater im Himmel, dein Name soll geheiligt werden. Dein Reich soll kommen. Dein Wille soll geschehen. Wie er im Himmel geschieht, so soll er auch auf der Erde Wirklichkeit werden. Gib uns heute unser tägliches Brot. Und vergib uns unsere Schuld – so wie wir denen vergeben haben, die an uns schuldig geworden sind. Und stell uns nicht auf die Probe, sondern rette uns vor dem Bösen. Denn du bist der Herrscher. Dir gehört die Macht und die Herrlichkeit – in Ewigkeit. Amen
Matthäus 6,7−13 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.
Liebe Erschütterte,
ich weiß nicht, ob Sie unter denen sind, die direkt vom Hochwasser betroffen sind, oder ob Sie wie ich lediglich fassungslos vor den Nachrichten und den Bildern aus den Flutgebieten stehen. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Zeilen nicht mehr überall in unserem Land gelesen werden können, weil in einigen Gegenden Strom, Telefonnetz und Internet mit allem anderen davongespült wurden. Mit allem anderen! Ich bin so entsetzt von der Zerstörung und den Todesfällen, dass mir die Worte schwerer und schwerer fallen. Selbst das Beten fällt mir schwer, weil ich eigentlich nur noch beten möchte: „Gott, lass es nicht wahr sein!“ Aber es ist natürlich wahr, es ist Realität, dass viele Menschen ihr Hab und Gut und sogar ihr Leben verloren haben.
Wenn ich die Zuversichtsbriefe plane, muss ich rechtzeitig Bibelstellen auswählen, damit unser lieber Freund, der Schauspieler und Sprecher Helge Heynold, die Texte rechtzeitig ausnehmen kann. Dass ausgerechnet für diese Woche nach der Flut das Vaterunser an der Reihe ist, ist darum ein Zufall. Allerdings ist es ein Zufall, der mir sehr hilft. Das liegt vor allem an der Hinführung zu dem Text, den wir alle so gut kennen. Nicht gedankenlos sollen wir beten, sondern aufmerksam. Wir sollen nicht viele Worte machen, sondern … nein, nicht wenige, sondern wir sollen uns darauf verlassen, dass Gott weiß, was wir brauchen. Nach dieser Logik könnte Jesus an dieser Stelle auch fortfahren und sagen: „Ihr braucht nicht zu beten. Lasst es sein! Gott weiß längst Bescheid.“ Stattdessen gibt Jesus nun die Worte vor, wie wir beten sollen.
Darin steckt eine kleine Unlogik. Warum sollen wir um etwas bitten, von dem Gott längst weiß, dass wir es brauchen? Meine Antwort darauf lautet heute so: Weil Beten guttut. Im Gebet verbinden wir uns mit Gott, wir wenden uns an die Macht, die größer ist als jede Flut. Wir beten zum Schöpfer von allem, zu der Erbarmerin über alles. Das allein tut bereits gut, weil wir herauskommen aus der Fixierung auf das Unglück. Wie gesagt: Wir wenden uns an ein Gegenüber, das über der Katastrophe steht, außerhalb der Begrenztheit durch Raum und Zeit oder Tod. Unsere Worte verlassen also nicht nur unseren Mund, sondern auch unsere Gefangenschaft durch das, was uns bedrückt. Sich an die Ewige zu wenden, bedeutet, die eigene Endlichkeit anders ansehen zu können.
Dazu kommt, dass Jesus sagt, wir sollen Gott mit Vater anreden. Wir dürfen wie Kinder, die nicht weiterwissen, zu Gott kommen. Wie Eltern wissen, was ein Kind braucht, so weiß es Gott bei uns. Und wie Kinder nach ihren Eltern schreien, so dürfen wir es eben auch. Wie bei einem Kind eine liebevolle Umarmung den Schmerz eines aufgeschürften Knies lindert, so mindert ein Gebet zu unserem himmlischen Vater unsere Seelenqual.
Die Wochenaufgabe liegt diesmal wieder nah: Beten Sie das Vaterunser! Beten Sie es regelmäßig. Am besten beten Sie es beim Aufstehen und wenn Sie ins Bett gehen. Und um 12 Uhr am Mittag lassen Sie uns alle gemeinsam das Vaterunser beten. Sollten Sie eine Kirche in der Nähe haben, die mittags läutet, brauchen Sie sich keinen Wecker zu stellen. Wichtig ist nur: Wenn es Ihr Tun zulässt, unterbrechen Sie es für einen Moment und sprechen Sie es möglichst laut. Dann können wir auf diese Weise noch den dritten Grund erfahren, warum beten guttut. Man spürt, dass man nicht allein ist im Beten.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!
Ihr Frank Muchlinsky
PS Diesen Brief kann ich nicht ohne einen Spendenaufruf beenden. Hier ist er: Wenn Sie helfen möchten, folgen Sie diesem Link zur Diakonie Katastrophenhilfe!