TV-Tipp: Tatort: "Spieglein, Spieglein"

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TV-Tipp: Tatort: "Spieglein, Spieglein"
11. Juli, ARD, 20.15 Uhr
Der harmlose Märchentitel täuscht. In der Regel wird der "Tatort" aus Münster seinem Prädikat "Schmunzelkrimi" ja vollauf gerecht, und selbstredend gibt es auch in "Spieglein, Spieglein" diverse komische Momente, aber die Geschichte ist ebenso clever wie spannend.

Schon die erste Szene nimmt den doppelten Boden des Films (eine Wiederholung von 2019) vorweg: Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) verlassen gleichzeitig ihre Wohnung. Ihr Begrüßungsgeplänkel ist dabei so geschickt gefilmt, dass sie nebeneinander zu stehen scheinen, weil sich beide jeweils in einem Spiegel neben ihren Wohnungstüren spiegeln. Dieser Double-Effekt zieht sich durch die gesamte Handlung: Als Thiel zu einer Leiche am Dom gerufen wird, ist er tief betroffen, weil die Tote eine Zwillingsschwester von Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) sein könnte. Kurz drauf wird eine Frau aus dem Wasser gefischt, die ähnlich kleinwüchsig wie Boernes Mitarbeiterin Haller (ChrisTine Urspruch) ist und einen selbstgestrickten Schal trägt, den die Rechtsmedizinerin verloren glaubte. Als schließlich auch noch ein Taxifahrer ermordet wird, der eine flüchtige Ähnlichkeit mit Thiels Vater hat, gibt es keinen Zweifel mehr: Die drei Toten sind Opfer eines Serienmörders, der es auf Doppelgänger der Menschen aus dem direkten Umfeld des Ermittlerduos abgesehen hat. Die nächsten auf der Liste werden demnach zwei Zeitgenossen sein, die dem Hauptkommissar und dem Professor wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Also drehen Thiel und Boerne den Spieß rum: Wenn sie diese Männer vor dem Mörder finden, können sie ihm eine Falle stellen.

Natürlich sorgen Buch und Regie dafür, dass die beiden Hauptfiguren ihre gewohnten Frotzeleien austauschen, aber die Stimmung ist merklich ernster als sonst. Das werden jene bedauern, die den "Tatort" aus Münster vor allem wegen des Blödelfaktors schätzen, aber Krimifans dürfte die Seriosität der Geschichte nur recht sein. Tatsächlich hätte "Spieglein, Spieglein" sogar das Zeug zum Thriller, zumal Autor Benjamin Hessler einen cleveren Bezug zu einer früheren Episode einbaut. Thiel geht davon aus, dass sich einer der vielen Täter, die er hinter Gitter gebracht hat, an ihm rächen will, weshalb er und Boerne alle in Frage kommenden alten Fälle durchgehen. Der vielversprechendste Kandidat hat jedoch das perfekte Alibi: Sascha Kröger (Arnd Klawitter) sitzt nach wie vor seine Haftstrafe ab. Der Mann war die finstere Hauptfigur von "Wolfsstunde" (2008), einem der düstersten Krimis aus Münster, als Thiel und Boerne einen Serienvergewaltiger jagten. Nun gibt er sich geläutert und freut sich auf seine bevorstehende Entlassung; die beiden sind also keinen Schritt weiter. Das ändert sich erst, als die Fahndung nach ihren Doppelgängern zu einem Treffer führt und endlich klar wird, wie der Mörder seine Opfer ausgewählt hat.

Hessler ("Mord mit Aussicht") war an einigen guten Krimis als Koautor beteiligt, darunter zuletzt "Treibjagd" (2018), ein NDR-"Tatort" über die Untaten einer Nachbarschaftswache. Für Qualität steht auch Regisseur Matthias Tiefenbacher, und das nicht nur wegen seiner regelmäßig sehenswerten Beiträge zu Reihen wie "Der Tel-Aviv-Krimi" oder "Kommissar Dupin". Auch seine Ausflüge nach Münster ("Herrenabend", 2011; "Das Wunder von Wolbeck", 2012) führten stets zu besonderen Filmen; "Tempelräuber" (2009) gehört mit über 12 Millionen Zuschauern zu den meistgesehenen "Tatort"-Episoden überhaupt. Tiefenbacher und Kameramann Hanno Lentz haben nicht allein wegen der Spiegelbilder zum Auftakt dafür gesorgt, dass sich der Film auch optisch von den vorwiegend heiteren Folgen abhebt: Die Aufnahmen strahlen mit ihrem dunklen Schwarzblau, das ähnlich wie in einigen ZDF-Samstagskrimis gern auch mit der Ausstattung korrespondiert, eine ungewohnte Seriosität aus. Witzig ist "Spieglein, Spieglein" zwischendurch trotzdem, etwa wenn Boerne seinem Doppelgänger begegnet, einem Jazzprofessor. Auch Thiel wird zum angemessen dramatischen Finale auf sein Double treffen. Viele kleine Gags hat Tiefenbacher zudem angenehm beiläufig inszeniert. Die interessante Musik vom bewährten Duo Biber Gullatz und Andreas Schäfer sorgt ebenfalls für einige Munterkeit. Einzig Staatsanwältin Klemm, diesmal noch unleidlicher als sonst, wandelt wie ihre eigene Wiedergängerin durch den Film, und so fühlt sie sich auch, nachdem sie erblickt hat, wie sie dereinst im Tod aussehen wird: wie vom eigenen Geist verfolgt.

Im Anschluss wiederholt die ARD die Münster-Episode "Lakritz" (ebenfalls 2019). In diesem äußerst vergnüglichen Krimi lösen Boerne und Thiel neben einem aktuellen Fall auch ein vierzig Jahre altes Verbrechen. Der besondere Reiz liegt in der gelungenen Verschmelzung von Gegenwart und Vergangenheit: Schon als Teenager war der spätere Rechtsmediziner einem Mord auf der Spur. Davon abgesehen ist "Lakritz" eine todernste Krimikomödie. In früheren Episoden war die Mördersuche mitunter bloß ein besserer Vorwand für die Wortgefechte der beiden Hauptfiguren. Buch und Regie haben diesmal jedoch eine perfekte Balance gefunden, zumal Prahl und Liefers frisch wie am ersten Tag miteinander harmonieren. Die amüsanten Details am Rande sind keine Ablenkung, sondern sorgfältig in die Handlung integriert. Selbst die präzise gespielten kleinen Slapstickeinlagen wirken nicht deplatziert.