TV-Tipps: "Sieben Stunden"

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TV-Tipps: "Sieben Stunden"
4. Juni, Arte, 20.15 Uhr
Gefängnispsychologin Hanna Rautenberg befand sich in der Gewalt eines Vergewaltigers und Mörders. Nun kämpft sie mit den traumatischen Folgen dieses Ereignisses und mit der Entscheidung, vor Gericht gegen ihren Peiniger auszusagen.

Es wäre keine Überraschung gewesen, wenn die Fernsehfilmkoordination der ARD "Sieben Stunden" bei der Premiere als Mittwochsfilm 2018 lieber erst am späteren Abend gezeigt hätte. Hauptdarstellerin Bibiana Beglau war bereits im Jahr zuvor mit dem sperrigen Drama "Über Barbarossaplatz" von einer derartigen Verbannung in die Nacht betroffen. Auch inhaltlich gibt es Parallelen: Die Theaterschauspielerin spielt in beiden Filmen eine traumatisierte Psychotherapeutin. In "Sieben Stunden" verkörpert sie die Gefängnispsychologin Hanna Rautenberg, die einer furchtbaren Ausweglosigkeit ausgesetzt ist: Ausgerechnet Petrowski (Till Firit), ein Vergewaltiger und Mörder, den sie auf einem guten Weg sah, verbarrikadiert sich in ihrem Büro und missbraucht sie über Stunden hinweg. Die Leitung des Hochsicherheitsgefängnisses weiß von der Geiselnahme, ein Sondereinsatzkommando ist längst vor Ort, aber weil Hannas Stellvertreter (Norman Hacker) aufgrund gelegentlicher Anrufe den Eindruck hat, die Kollegin habe alles im Griff, greift das SEK nicht ein.

Regisseur Christian Görlitz hält sich dankenswerterweise nicht lange mit dem Ereignis auf. Kurze Momente, die die Therapeutin nackt, zusammengekrümmt und von Wunden übersät auf dem Boden ihres Büros zeigen, lassen das Grauen erahnen, das der Häftling ihr angetan hat; eine "Vorblende" auf den späteren Prozess (Josef Ostendorf sehr eindrucksvoll als Richter) sorgt für das nötige Hintergrundwissen. Die ganze Furchtbarkeit der Ereignisse können vermutlich ohnehin nur Menschen nachvollziehen, die etwas Derartiges selbst durchleiden mussten; und die werden höchstwahrscheinlich keine Lust auf so einen Film haben. Die Leerstelle hat jedoch auch dramaturgische Gründe: Ähnlich wie bei einem Trauerfall geht das Leben für die Anderen weiter; nur für die Betroffenen selbst steht die Welt plötzlich still. Görlitz konzentriert sich vor allem darauf, wie die Psychologin mit den Folgen umgeht: Von Berufs wegen weiß sie, dass Rache das Ereignis nicht ungeschehen machen kann; trotzdem träumt sie davon, ihrem Peiniger wieder und wieder das selbstgebastelte Messer in den Bauch zu rammen, mit dem er sie bedroht hat. Ihr Mann Stephan (Thomas Loibl) überzeugt sie, die Opferrolle zu verlassen und im Prozess gegen Petrowski als Nebenklägerin aufzutreten. Sie entschließt sich, richtig in die Offensive zu gehen, und ihren Arbeitgeber sowie die Polizei wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Ihre öffentliche Aussage stellt eine erneute Belastungsprobe dar, nicht nur für sie, sondern auch für ihren Sohn. Ihrem Mann dagegen, der ohnehin nicht versteht, warum sie sich nicht gewehrt habe, wird sie immer fremder.  

Die Geschichte ist alles andere als leichte Kost, aber auch die Wahl der Hauptdarstellerin trägt nicht gerade zur Gefälligkeit bei. Anders als so gut wie alle populären Fernsehkolleginnen ist Bühnenstar Beglau keine jene Darstellerinnen, auf die sich die meisten Zuschauer einigen können. Ihr ganz spezielles Spiel lässt sie für Unterhaltungsproduktionen weitgehend ungeeignet erscheinen, weshalb ihr Name automatisch für Anspruch steht (exemplarisch: Aelrun Goettes Familiendrama "Unter dem Eis", 2005). Beglaus eigenwilliger extravertierter Stil macht es zudem schwer, mit ihren Figuren warm zu werden, weil er automatisch für emotionale Distanz sorgt; kein Wunder, dass diese Frau, die sich in einem Interview mal als "Intensitätssau" bezeichnet hat und ihre Rollen mit Haut und Haar zu fressen pflegt, gern als Antagonistin besetzt wird. Klassisches Thrillerkino sind dagegen die Bilder, die der Film für den Aufruhr findet, der in Hannas Seele herrscht: Als Stephan mit einem Küchenmesser Petersilie schneidet, ist schon das überlaute Geräusch eine akustische Provokation; aber aus Sicht Hannas werkelt da nicht ihr Mann in der Küche, sondern ihr Peiniger. Noch effektvoller inszeniert ist eine Panikattacke im Schwimmbad, als Petrowski vom Grund des Beckens an ihren Füßen zu zerren scheint.

Das Drehbuch, das Grimme-Preisträger Görlitz ("Freier Fall") gemeinsam mit Pim G. Richter geschrieben hat, basiert auf den Erinnerungen von Susanne Preusker, die einst im Straubinger Gefängnis eine Station für männliche Sexualstraftäter aufgebaut und in ihrem 2011 erschienenen Buch "Sieben Stunden im April" beschrieben hat, was sie zwei Jahre zuvor durchleiden musste. Die Psychologin hat ihre Arbeit nach der Tat nicht mehr ausüben können und wurde Hundetrainerin; im Februar 2018 hat sie sich das Leben genommen. Autoren und Redaktion hatten während der Entwicklung des Drehbuchs regelmäßigen Kontakt zu ihr. Preusker, heißt es in einem gemeinsamen Statement der Verantwortlichen, habe es richtig gefunden, "dass wir uns für eine Fiktionalisierung entschieden und uns von ihrer persönlichen Geschichte entfernt haben." Preusker habe gewollt, "dass dieser Film gemacht wird, ihr war es wichtig, dass diese Geschichte eines Opfers erzählt wird. Sie kannte das Drehbuch und hat auch den fertigen Film mit ihrer Familie gesehen, der sie sehr bewegt und begeistert hat."