TV-Tipp: "Was gewesen wäre"

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TV-Tipp: "Was gewesen wäre"
21. Mai, Arte, 20.15 Uhr
Die in der Kulisse der ungarischen Hauptstadt Budapest spielende Beziehungs- und Familiengeschichte greift bis in die Jahre der Wende von 1989 zurück. Manches bleibt dabei jedoch etwas unglaubwürdig.

Eine Frau in mittleren Jahren muss sich ihrer Vergangenheit stellen: Dieses universelle Erzählmuster zieht sich durch alle möglichen TV-Genres. Im Drama wird die Heldin mit einem alten Trauma konfrontiert, in der Romanze läuft sie bei der Heimkehr in die alte Heimat prompt ihrer Jugendliebe über den Weg, im Krimi geht es um ein viele Jahre zurückliegendes Verbrechen. "Was gewesen wäre" spielt zwar knapp dreißig Jahre nach dem Mauerfall in Budapest, entspricht ansonsten aber perfekt dem Schema der Vergangenheitsbewältigung. Autor Gregor Sander, der seinen eigenen Roman adaptiert hat, erzählt ein zweifaches Beziehungsdrama: Ärztin Astrid (Christiane Paul) will mit ihrem neuen Freund Paul (Ronald Zehrfeld) ein paar unbeschwerte Tage in der ungarischen Hauptstadt verbringen. Nach seiner Ankunft im Gellért an der Donau sucht das Paar das Restaurant des berühmten Hotels auf, aber Astrid vergeht schlagartig der Appetit, als sie an einem der Tische zwei Männer erblickt.

Ab jetzt gibt es zwei gleichberechtigte Erzählebenen, denn natürlich will Paul wissen, was los ist: Mitte der Achtziger ist Astrid (in den Rückblenden von Mercedes Müller verkörpert) als Teenager aus Neubrandenburg von ihrer besten Freundin Jana (Lena Urzendowsky) mit dem jungen Musiker Julius (Leonard Kunz) verkuppelt worden. Dessen Bruder Sascha (Matti Schmidt-Schaller) lebte mit dem Vater in Hamburg. Damals hat sich das Quartett in Budapest getroffen. Gemeinsam mit Paul sucht Astrid die Stationen von einst auch in der Gegenwart auf; im schönen Schwimmbad des Hotels tummelt sich der Film gleich mehrmals. Als es Sascha gelingt, Julius über Ungarn und Jugoslawien in den Westen zu schmuggeln, und Astrid ihre Tante an deren rundem Geburtstag in Darmstadt besuchen darf, steht sie vor der größten Entscheidung ihres Lebens: hier die Liebe, dort Familie, Freunde und ein sicherer Studienplatz in Medizin.

Der Film ist zwar fürs Kino entstanden, hatte aber gerade mal 7000 Zuschauer. Florian Koerner von Gustorf hat fast alle Kinofilme von Christian Petzold produziert. Die Nüchternheit der "Berliner Schule" prägt auch sein Regiedebüt; mit seiner vergleichsweise kostengünstigen Inszenierung und den überwiegend starren Einstellungen passt der Film ohnehin besser ins Fernsehen. Der Reiz der Geschichte liegt im Wesentlichen in der doppelten Zuspitzung, denn je mehr Paul über die Astrids Jugendliebe erfährt, desto überflüssiger fühlt er sich. Die frische Beziehung bekommt deutliche Risse; er ist ohnehin genervt, weil Astrid ihn nach überstandener Herzoperation ständig zu einem gesünderen Lebenswandel ermahnt. Die Umsetzung der dramaturgisch interessanten Konstruktion hat bloß einen Haken: Die Gegenwartshandlung basiert auf dem Mythos "erste große Liebe", doch davon kann keine Rede sein, weil es zwischen dem Vergangenheitspaar schlicht nicht funkt. Mercedes Müller passt als jugendliches Pendant zwar perfekt zu Christiane Paul, und auch Leonard Kunz ist gut ausgewählt (den erwachsenen Julius spielt Sebastian Hülk), aber es gibt im Grunde keinerlei Liebesszenen; der junge Mann hat offenbar kaum Interesse an Astrid. Sie ist zwar auf dem Weg nach Darmstadt in West-Berlin aus dem Zug gestiegen, um die zwischenzeitlich ausgereiste Jana zu besuchen, und wartet den Moment ab, als auch die beiden Brüder in West-Berlin eintreffen, macht sich aber aus dem Staub, ohne sie zu begrüßen. Da sie im Gegensatz zu Jana weder nennenswerte Probleme mit dem politischen System in der DDR noch große Sehnsucht nach dem Westen hat, stellt sich das Dilemma, auf dem die gesamte Erzählung letztlich basiert, überhaupt nicht. Entsprechend unglaubwürdig wirkt es, wenn sich Julius und Astrid in der Gegenwart bei erstbester Gelegenheit küssen, denn auch die Emotionen zwischen den beiden Erwachsenen bleiben bloße Behauptung. Gegen die bullige Präsenz von Ronald Zehrfeld verblassen Sebastian Hülk und Christiane Paul, beide zudem mindestens fünf Jahre zu jung für ihre Figuren, ohnehin.

Sehenswert ist der Film dennoch in erster Linie wegen des Ensembles. Ein paar hübsche Budapester Stadtansichten sind im Preis zwar inbegriffen, aber filmsprachlich ist die Inszenierung sehr sparsam. Selbst der Titel stimmt nicht: Das Gedankenspiel "Was gewesen wäre" wird gar nicht thematisiert. Wie ein Appendix wirkt zunächst auch der Schlussakt, als Astrid und Paul auf Einladung  von Julius und Sascha (Barnaby Metschurat) – die beiden betreiben eine Galerie in Hamburg – ein Künstlerpaar besuchen. In der Beziehung von Margarete und Jozef (Erika Marozsán, Tamás Lengyel) spiegelt sich das Drama von einst: Sie will Ungarn angesichts der repressiven Politik von Viktor Orbáns Fidesz-Partei lieber heute als morgen verlassen, er will bleiben. Sie fahren zu sechst in Richtung Grenze, wo die beiden Brüder damals das größte Abenteuer ihres Lebens erlebt haben. Die Idee der Männer, den Grenzzaun zu überwinden, ist zwar etwas kindisch, aber auch ein Kommentar zur gegenwärtigen Situation: Früher sollte der "Eiserne Vorhang" verhindern, dass die Menschen den Ostblock verlassen, heute soll der Zaun als Außengrenze der Europäischen Union unerwünschte Einwanderer fernhalten.